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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition)
Autoren: Markus Tillmanns
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nicht real sind, wenn der Geist offen ist, das Morgen zu denken, dann tritt auch die Lüge in die Welt. Warum sollte sich jemand an Regeln halten, wenn der Verstand ihm sagt, dass sie auch anders beschaffen sein könnten? Weniges sägt so unermüdlich an der Autorität der öffentlichen Ordnung wie die Fähigkeit des beweglichen Geistes, sie zu hinterfragen.«
    »Das ... mag sein«, erwiderte Dadalore langsam.
    »Das muss so sein! So ist das Gesetz der Dinge und im Gegensatz zu den Gesetzen des Königs ist dieses Gesetz unumstößlich. Als die Himmlischen und die Dämonen die Welt aus dem Abgrund hoben, da schufen sie sie frei von Widersprüchen.«
    »Lobet die Wahrheit!«, spöttelte Dadalore.
    »Lobet die Wirklichkeit«, erwiderte Valenuru ernst.
     
    Die Ruptu hatten etwas Undurchschaubares, Furchteinflößendes an sich. So begab sich Dadalore mit sehr gemischten Gefühlen nach Selassie. Sie war der religiösen Vorträge schon seit Jahren überdrüssig. Zwar achtete sie die Autorität der Priester, jedenfalls von einem gewissen Weihegrad an, den unteren Rängen jedoch unterstellte sie erhebliche Lücken im Verständnis der göttlichen Lehre, die gewiss allzu oft einfach durch Improvisation gefüllt wurden. Entsprechend gab sie noch weniger auf den religiösen Rat von Laien. Daher hatte sie Valenuru nur widerwillig zugestanden, auch bei den Ruptu Ermittlungen durchzuführen. Immerhin war nicht abzustreiten, dass die Ermordeten Echsen gewesen waren, so dass es nicht schaden konnte, sich in ihrem Umfeld ein wenig umzusehen.
    Die beiden Capitalobservatoren gingen die Shaguana entlang, die Prachtallee, die nach der mythischen Reichsgründerin benannt war, die dereinst das Bündnis mit Teutomar gewagt hatte. Für die Villen und Amtsbauten beiderseits der Straße hatte Dadalore keinen Blick. Sie sah vielmehr nach oben, wo hoch über den Dächern der Stadt der gewaltige Riesenruptu aufragte: das Bildnis einer Raubechse mit zähnestarrendem Maul, das sich seit Menschengedenken so unbezwingbar in den Himmel erstreckte, dass es nur durch Magie geschaffen sein konnte. Ein Relikt aus einer Zeit, als die Welt noch nicht den Menschen gehörte, sondern den Kaltblütigen. »Warum hat man das entsetzliche Ding eigentlich nie geschleift?«, murmelte sie.
    »Oh, an Versuchen dazu hat es nicht gemangelt.« Valenuru folgte ihrem Blick nach oben. »Zuletzt ließ König Pakilaus-Warum-denn-nicht-Was-stört-es-mich im Jahr 615 Hand an die Statue legen. Drei Tage und drei Nächte lang machten sie sich mit Steinmetzen und Zauberern, Rammböcken und Sprengmeistern daran zu schaffen. Vergeblich. Es scheint ganz so, als ob die Macht der Menschen noch immer nicht an die früherer Zeiten heranreicht.«
    »Seid vorsichtig, was Ihr redet!«, fuhr Dadalore erschrocken dazwischen. »Man könnte Euch das als Königslästerung auslegen.«
    »Ach was.« Valenuru lächelte.
    Dadalore missfiel seine Reaktion, doch sie wusste nichts Rechtes darauf zu sagen. So stapfte sie schweigend neben ihm her und ihre Gedanken glitten zu dem Pergament zwischen ihren Fingern.
    »Abgesehen davon ist der Koloss für die Wasserversorgung wichtiger denn je.«
    »Wie denn – immer noch?« Sie blickte ihn von der Seite an.
    »Aber ja. Ihr glaubt vielleicht, mit all den Zisternen und Brunnen in den äußeren Bezirken hätte sich etwas geändert. Doch es ist der Riesenruptu, der die Stadt mit Wasser versorgt und je größer sie wird, desto mehr liefert er.«
    Dadalore schwieg.
    »Er kann das nämlich spüren, wie viel Wasser hier benötigt wird.«
    Die Capitalobservatorin wusste um die große Macht, die man den Ruptu ehedem nachsagte. Aber das war lange her und bisher hatte sie immer angenommen, dass von jener Stärke nichts mehr geblieben war. Doch nun begann sie sich zu fragen, was die Ruptu von ihren alten Kräften noch bewahrt haben mochten. Vielleicht genug, um unter dem Schutz eines Zaubers unbemerkt in den Palast einzudringen?
    Aber zu einer solchen Tat bedurfte es mehr als nur großer Zaubermacht. Man benötigte auch Ziele, Pläne und den kriminellen Ehrgeiz, sie zu verwirklichen. Soweit sie wusste, hatten die Echsen nichts von alledem. Sie waren ruhig bis zum Phlegma, ihnen aufgetragene Arbeiten verrichteten sie gewissenhaft und gut, vorzugsweise wurden sie daher von reichen Bürgern als Lastenträger, Wächter oder auch Statussymbol beschäftigt. Aber niemals hatte ein Ruptu eigenständige Ziele verfolgt oder gar Hartnäckigkeit in der Durchsetzung eines Anliegens
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