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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition)
Autoren: Markus Tillmanns
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kindlichem Trotz und heiligem Ernst damit verbracht hatte, auf ihrem Standpunkt zu bestehen. Heute wünschte sie sich eine solche Kammer. Einen Ort, an dem sie für ein paar Stunden aus der Welt verschwinden könnte ...
    Sie ließ das Brackwasser hinter sich und tauchte erneut ein in das Gewirr der Gassen des Alabasterviertels. Die Stadt war riesig. Sie war, soweit es die alten Aufzeichnungen verrieten, seit der Herrschaft von Walnaka-Wozu-darben-Was-soll-denn-das fortwährend angewachsen. Und die Menschen suchten immer angestrengter nach Möglichkeiten, den Moloch Kamboburg noch weiter zu vergrößern, denn die Attraktivität der Metropole des Imperiums war ungebrochen – trotz allem. Während die äußeren Bezirke sich wie unersättliche Hyänen ins Land fraßen, rangen die Bewohner Caramias dem riesigen Gelben See Raum ab, indem sie sich mit ihren Bauten immer weiter hinaus in tiefere Gewässer wagten. Das Alabasterviertel aber kannte nur eine Richtung, in die sein unermesslicher Reichtum und seine Macht strebten: nach oben. Kaum ein Gebäude war dort, das nicht bereits fünf, sechs oder gar sieben Stockwerke zählte, so dass die Straßen jenseits der großen Prachtalleen in einem ewigen Dunkel lagen.
    Dadalores Unterkunft aber lag natürlich in Barakia, bei den anderen Sklaven. Sie schätzte es durchaus, etwas abseits der nimmermüden zentralen Viertel zu leben, doch in Momenten wie diesem wünschte sie sich, der Weg wäre nicht so weit.
    Es war ein langer und aufreibender Tag gewesen, und sie konnte jeden einzelnen Augenblick spüren. Sie hätte ein Pferd nehmen sollen, aber nun war es zu spät: Inzwischen war der Weg zu den Zentralen Stallungen weiter als die verbliebene Strecke. Wenn sie nur nicht so müde wäre.
    Endlich gerieten die ersten Lehmbauten Barakias in Sicht. Die Straßenbeleuchtung wurde spärlicher und die Capitalobservatorin schleppte sich durch das Dunkel.
    Nur der Halbmond spendete geisterhaftes Licht. Es war der Mond der Exu, der Grinsenden Göttin. Man erzählte sich, dass hellsichtigen Menschen in solchen Nächten Einblicke in Vergangenheit und Zukunft gewährt würden. Sie sahen Dinge, die sie erleuchteten oder verwirrten, ganz wie es der Doppelnatur der Herrin zweier Welten entsprach. Aber Dadalore gab nichts auf solchen Aberglauben und darin zumindest war sie sich mit Irmhobib stets einig. Wie hatte die Schamanin sie gelehrt? Die Erkenntnis, Mädchen, ist die Gabe Tyrtallas. Exu hingegen heißt man nicht zufällig die Undurchschaubare.
    Dadalore erreichte schließlich ihr winziges Haus. Die Tür stand offen wie überall in Barakia, denn in den Sklavenhäusern gab es nichts zu stehlen. Die Capitalobservatorin ging hinein. Stille umfing sie.
    Wo waren all die Stimmen hin, die sie in den Sklavenunterkünften ihrer Majestät immer um sich gehabt hatte? Selbst über das Genörgel Markloles würde sie sich nun freuen.
    Aber es blieb still.
    Sie füllte eine Schüssel mit Hirse und setzte sich vor den Lehmsims, der ihr den Tisch ersetzte. Ein paar Handvoll Körner schob sie sich in den Mund, doch der Hunger blieb weiter aus. Und ihre Müdigkeit war einfach zu groß. Sie kämpfte sich aus dem Rettarock und warf ihn achtlos über den Hocker. Nur mit einem Lendenschurz und dem unvermeidlichen Sklavenring bekleidet, kroch sie in ihre Schlafnische. Der Schlaf ließ lange auf sich warten. Vermutlich scheute er die Begegnung mit den drei toten Echsenkriegern in ihrem Kopf.

 
     
     
     
     
     
     
     
    Noch drei Tage
     
     
     
     
    Unter Echsen
     
     
    Als Dadalore am nächsten Morgen ihre Arbeit aufnahm, erwartete sie eine große Überraschung.
    Die Beamtin hatte am Schreibtisch ihres Dienstzimmers Platz genommen und stellte fest, dass Bamulaus bereits einige Dinge zurechtgelegt hatte. Da war zunächst eine Zusammenfassung des diensthabenden Capitalprotektors über die Nachtschicht. Daneben lag ein Protokoll der Befragungen, die sie am Vorabend Bamulaus überlassen hatte. Außerdem fand sie ein Pergament, auf dem Die Ruptu fehlen notiert war. Dadalore stutzte. Das war nicht die Schrift des alten Capitalprotektors. Es war eine sehr schöne Schrift mit weiten, eleganten Bögen. Niemand hier hatte eine solche Schrift.
    »Ich habe mir erlaubt, das Wesentliche herauszuschreiben«, sagte der Fremde.
    Dadalore fuhr auf. Vor ihrem Tisch stand ein junger Mann, vielleicht ein paar Jahre älter als sie, im Rettarock. Nachtschwarzes Haar stand in auffallendem Widerspruch zu der sehr blassen Haut. Hohe
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