Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Nachbar

Titel: Der Nachbar
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
und siebzehnjährige Jugendliche verurteilt worden war, für ihre Kleinkinder keine Bedrohung darstellte.
    Andere argumentierten wieder, die Veröffentlichung von Namen und Adressen Pädophiler fordere geradezu den gewalttätigen Hass heraus, den man am blutigen Samstag erlebt hatte. Der Mann, um den es hier gegangen war, war bereits aus einer Wohnsiedlung verjagt worden, obwohl neben seinem Foto alle Einzelheiten seiner Verurteilung abgedruckt worden waren. Das Problem stecke in dem Wort ‘Pädophilie’. Für die meisten Menschen habe es die gleiche Bedeutung wie böse, und wenige seien bereit, zwischen ängstlichen Männern, die nur berühren wollten, und Psychopathen, die ihre Befriedigung daraus zogen, Kinder zu quälen und zu töten, einen Unterschied zu machen.
    Die Politiker versuchten, die Kontroverse zu meiden, indem sie die Unruhen auf das Drogenproblem schoben.
    Die Reaktion der Öffentlichkeit – der
demokratischen
Öffentlichkeit – hingegen war eindeutig. Als bekannt wurde, dass ein verwirrter alter Soldat abgeschlachtet worden war, weil man ihn irrtümlich für einen Sexualverbrecher gehalten hatte, kamen Menschen von nah und fern und legten an den Zugängen zur Acid Row haufenweise Blumen nieder.
    In den vierundzwanzig Stunden jedoch, als man ihn für einen Kinderschänder gehalten hatte, wurde nicht ein einziges Sträußchen niedergelegt.

32

Dienstag, 2. Oktober 2001 – Bassindale
    Eileen Hinkley sagte, Jimmy solle doch keinen solchen Wirbel machen, als er aus einer Tragtüte eine bunte Wolldecke nahm und sie ihr über die Knie legte.
    »Es ist ein Geschenk«, sagte er, bevor er in ihrem Schlafzimmer verschwand und in ihren Schränken zu kramen begann.
    »Wenn Sie was zum Stehlen suchen, verschwenden Sie nur Ihre Zeit«, rief sie vergnügt im Rollstuhl sitzend. »Das einzige wertvolle Stück, das ich besitze, ist mein Verlobungsring – und wenn Sie den haben wollen, müssen Sie mir schon den Finger abhacken.«
    Mit einer Kollektion Hüte in den Händen kam er ins Wohnzimmer zurück. »Ich weiß«, sagte er. »Das hab ich gleich bei meinem ersten Besuch hier mitgekriegt.« Er hielt eine rote Baskenmütze hoch. »Wie wär's mit dem? Nein? Dann den.« Er warf die anderen Hüte aufs Sofa und setzte ihr eine braune Filzkappe aufs strähnige weiße Haar. »Klasse.«
    »Warum muss ich was auf dem Kopf tragen?«, fragte sie misstrauisch, als er den Rollstuhl drehte und zur Wohnungstür schob.
    »Es ist kalt draußen.«
    Der Aufzug war gereinigt und frisch gestrichen worden, seit Constable Hanson den ganzen Boden vollgeblutet hatte. Er blieb unberechenbar, und die Jugendlichen entleerten an den Wochenenden immer noch ihre Blasen in ihm, aber die Hausbewohner hatten eine Reinigungsordnung aufgestellt, und seither roch es im Aufzug häufiger nach Desinfektionsmittel als nach Urin. Es gab noch andere kleine Veränderungen. Unten im Foyer hatte jemand Topfpflanzen aufgestellt, und regelmäßig wurden die weggeworfenen Zigarettenkippen aufgefegt. Bald, dachte Jimmy manchmal, würden auch noch Teppiche und Vorhänge eintreffen.
    Er schob Eileen in den windigen Oktobernachmittag hinaus. »Wohin gehen wir?«, fragte sie, die Hand an ihrer Kappe.
    »Nicht weit.«
    Sie stopfte die Decke unter ihre Oberschenkel. »Habe ich Ihnen erzählt, dass Wendy Hanson mich neulich besucht hat?«
    »Die Polizistin?«
    »Ja. Sie hat bei der Polizei aufgehört und macht jetzt eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Sie meint, mit dem kleinen Gemüse käme sie besser zurecht.«
    »Glauben Sie das auch?«
    Eileen lachte. »Nein. Sie wird vor Schreck erstarren, sobald sie zu streiten anfangen. Ich vermute, sie hat zu viele Filme gesehen. Sie bildet sich ein, alle kleinen Kinder wären Engel, und die Bosheit finge erst mit der höheren Schule an.«
    »Besucht sie immer noch den alten Knacker, der sie niedergeschlagen hat?«
    Eileen schüttelte den Kopf. »Sie ist die reinste Masochistin. Sie behauptet, er hätte die Alzheimer'sche Krankheit. Er hat keine Ahnung, wer sie ist, aber sie meint, sie wäre es ihm schuldig, jede Woche eine Stunde im Pflegeheim zu vertun. Hat man je solchen Unsinn gehört? Er hätte sie beinahe umgebracht, und sie glaubt, es wäre ihre Schuld, weil sie ihn aufgeregt hat. Sie hätte Nonne werden sollen. So viel Heiligkeit und Märtyrertum!«
    Jimmy grinste. »Dabei legt der Alte sie noch rein. Es heißt, sein Anwalt hat ihn entmündigen lassen, damit er nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ich mein,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher