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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos
Autoren: Albert Camus
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    Wenn ich einen Unschuldigen eines ungeheuerlichen Verbrechens bezichtige, wenn ich von einem tugendhaften Menschen behaupte, er habe seine leibliche Schwester begehrt, so wird er mir antworten, das sei absurd. Diese Entrüstung hat ihre komische Seite. Sie hat aber auch ihren tiefen Sinn. Der tugendhafte Mensch bringt mit dieser Entgegnung den absoluten Widerspruch zwischen der ihm unterstellten Handlung und seinen Lebensgrundsätzen zum Ausdruck. bedeutet: , aber auch: . Wenn ich sehe, wie ein Mensch sich mit blanker Waffe auf eine Maschinengewehrgruppe stürzt, dann werde ich sein Unternehmen absurd finden. Aber das ist es nur auf Grund des Mißverhältnisses zwischen seiner Absicht und dem, was ihn wirklich erwartet, auf Grund des Widerspruchs, den ich zwischen seinen wirklichen Kräften und seinem Ziele feststellen kann. Ebenso erachten wir einen Urteilsspruch als absurd, wenn wir ihn dem durch den Tatbestand offensichtlich geforderten Urteil entgegenhalten. In gleicher Weise ergibt sich ein weiterer Aufweis des Absurden, wenn man die Konsequenzen dieser Überlegung mit der logischen Realität vergleicht, die wir herstellen wollen. In allen diesen Fällen, vom einfachsten bis zum verzwicktesten, wird die Absurdität um so größer sein, je mehr meine Vergleichsobjekte voneinander abweichen. Eine Ehe, eine Herausforderung, ein Groll, ein Schweigen, ein Krieg und auch ein Frieden können absurd sein. Bei jedem entsteht die Absurdität durch einen Vergleich. Ich darf also wohl sagen, daß das Gefühl der Absurdität nicht aus der einfachen Untersuchung einer Tatsache oder eines Eindrucks entsteht, sondern daß es seinen Ursprung in einem Vergleich hat, in einem Vergleich zwischen einem Tatbestand und einer bestimmten Realität, zwischen einer Handlung und der Welt, die, stärker ist als sie. Das Absurde ist im wesentlichen ein Zwiespalt. Es ist weder in dem einen noch in dem anderen verglichenen Element enthalten. Es entsteht durch deren Gegenüberstellung.
    Im Bereich und auf der Ebene des Verstandes kann ich also sagen, daß das Absurde nicht im Menschen (wenn eine solche Metapher einen Sinn hätte) und auch nicht in der Welt liegt, sondern in ihrem gemeinsamen und gleichzeitigen Vorhandensein. Das ist zunächst das einzige Band, das sie verbindet. Wenn ich mich dabei an die augenscheinlichen Tatsachen halten will, dann weiß ich, was der Mensch will und was die Welt ihm bietet; und jetzt kann ich auch sagen: außerdem weiß ich noch, was beide miteinander verbindet. Ich brauche nicht weiterzugrübeln. Dem Forschenden genügt eine einzige Gewißheit. Es handelt sich nur darum, alle Konsequenzen daraus zu ziehen.
    Die unmittelbare Konsequenz ist gleichzeitig eine methodische Regel. Die eigentümliche Dreieinigkeit, die dabei ans Licht kommt, ist durchaus kein plötzlich entdecktes Amerika. Nur hat sie mit den Erfahrungstatsachen das gemein, daß sie zugleich unendlich einfach und unendlich kompliziert ist. Ihre erste Eigenschaft in dieser Hinsicht ist, daß sie unteilbar ist. Zerstört man eines ihrer Glieder, dann zerstört man sie ganz und gar. Außerhalb eines menschlichen Geistes kann es nichts Absurdes geben. So endet das Absurde wie alle Dinge mit dem Tode. Es kann aber auch außerhalb dieser Welt nichts Absurdes geben. Und aus diesem grundlegenden Kriterium schließe ich, daß der Begriff des Absurden etwas Wesentliches ist und als meine erste Wahrheit gelten kann. So lautet die oben erwähnte methodische Regel. Wenn ich etwas als wahr erkenne, muß ich daran festhalten. Wenn ich ein Problem lösen will, dann darf ich zumindest durch diese Lösung nicht einen Bestandteil dieses Problems verschwinden lassen. Das einzig Gegebene ist für mich das Absurde. Das Problem ist: zu wissen, wie man da herauskommt und ob aus diesem Absurden der Selbstmord zu folgern ist. Die erste und im Grunde einzige Voraussetzung für meine Untersuchungen ist, gerade das, was mich vernichtet, festzuhalten und infolgedessen das, was ich darin für wesentlich halte, zu respektieren. Ich habe es als eine Gegenüberstellung und als einen pausenlosen Kampf definiert.

Absurde Logik

    Und wenn ich diese absurde Logik zu Ende denke, dann muß ich erkennen, daß dieser Kampf jede Hoffnung auszuschließen zwingt (was nichts mit Verzweiflung zu tun hat), daß er fortgesetzte Ablehnung voraussetzt (die nicht mit Entsagung zu verwechseln ist) und bewußtes
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