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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos
Autoren: Albert Camus
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machen. Denken heißt wieder sehen lernen, aufmerksam sein, sein Bewußtsein lenken, heißt aus jedem Gedanken und jedem Bild (wie bei PROUST) etwas ganz Besonderes machen. Paradoxerweise ist alles etwas ganz Besonderes. Das Denken wird durch äußerste Bewußtheit gerechtfertigt. Eindeutiger als KIERKEGAARD und SCHESTOW leugnet jedoch HUSSERL ursprünglich die klassische Methode der Vernunft; er hintergeht die Hoffnung und eröffnet der Intuition und dem Herzen eine immer wachsende Menge von Phänomenen, deren Reichtum schon etwas Unmenschliches hat. Diese Wege führen zu jedem Wissen oder zu keinem. Das heißt: hier ist das Mittel wichtiger als der Zweck. Es handelt sich nur um , nicht um einen Trost. Ich wiederhole: ursprünglich wenigstens.
    Spürt man nicht die tiefe Verwandtschaft dieser Geister? Sieht man nicht, daß sie sich um etwas Bitteres und ganz Besonderes scharen, das keine Hoffnung mehr zuläßt? Ich will entweder alles erklärt haben oder nichts. Und die Vernunft ist vor diesem Schrei des Herzens machtlos. Der so geweckte Geist sucht und findet nur Widersprüche und Faseleien. Was ich nicht begreife, ist unvernünftig. Die Welt ist voller irrationaler Dinge. Sie allein, deren einzigartige Bedeutung ich nicht begreife, ist nur ein riesiges Irrationales. Könnte man ein einziges Mal sagen: , dann wäre alles gerettet. Diese Männer aber verkünden je nach Laune, daß nichts klar und alles ein Chaos sei, daß der Mensch nichts klar sehen und genau erkennen könne - nur die Mauern, die ihn umgeben.
    Alle diese Untersuchungen stimmen miteinander überein und überschneiden sich. Der Geist, der zur äußersten Grenze vorgedrungen ist, muß ein Urteil fällen und seine Schlüsse ziehen. Hierher gehören der Selbstmord und dessen Widerlegung. Ich will aber umgekehrt vorgehen, will von dem geistigen Abenteuer ausgehen und dann wieder auf das tägliche Verhalten zurückkommen. Die Erfahrungen, die ich hier beschworen habe, sind in der Einöde zustande gekommen, die wir nicht wieder verlassen dürfen. Wenigstens müssen wir wissen, wie weit sie vorgedrungen sind. An diesem Punkt seiner Bemühungen steht der Mensch vor dem Irrationalen. Er fühlt in sich sein Verlangen nach Glück und Vernunft. Das Absurde entsteht aus dieser Gegenüberstellung des Menschen, der fragt, und der Welt, die vernunftwidrig schweigt. Das dürfen wir nicht vergessen. Daran müssen wir uns klammern, weil die ganze Folgerichtigkeit eines Lebens daraus hervorgehen kann. Das Irrationale, das Heimweh des Menschen und das Absurde, das sich aus ihrem Zwiegespräch ergibt, sind die drei Figuren des Dramas, das notwendigerweise mit der ganzen Logik enden muß, deren eine Existenz fähig ist.

DER PHILOSOPHISCHE SELBSTMORD

Der Begriff des Absurden

    Das Gefühl für das Absurde ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff des Absurden. Es begründet ihn nur in gewisser Hinsicht. Es verdichtet sich zum Begriff nur in dem kurzen Augenblick, in dem es sein Urteil über das Universum ausspricht. Es darf dabei nicht stehenbleiben. Es ist etwas Lebendiges, das heißt: es muß sterben oder weiterklingen. Daher haben wir andere Themen mit ihm verbunden. Aber auch da interessieren mich keineswegs Werke oder Geister, die in anderer Form und in anderem Zusammenhang kritisch beleuchtet werden müßten, sondern die Aufdeckung des Gemeinsamen in ihren Schlußfolgerungen. Vielleicht hat es nie so viele verschiedene Geister gegeben. Trotzdem aber erkennen wir die Identität der geistigen Landschaften, in denen sie sich bewegen. Ebenso erklingt am Ende des Weges, den uns sehr verschiedenartige Wissenschaften weisen, derselbe Schrei. Man spürt genau, daß die Geister, von denen hier gesprochen wurde, ein gemeinsames Klima haben. Es ist kaum eine Wortspielerei, wenn ich behaupte dieses Klima sei mörderisch. Wenn man unter diesem schwülen Himmel lebt, muß man entweder fliehen oder ausharren. Im ersten Falle handelt es sich darum, zu wissen, wie man flieht, im zweiten, warum man bleibt. So definiere ich das Problem des Selbstmordes und das Interesse, das man den Schlußfolgerungen der Existenzphilosophie entgegenbringen kann.
    Zuvor will ich noch einen Augenblick abschweifen. Bisher haben wir das Absurde von außen her umschreiben können. Man kann sich jedoch fragen, was an diesem Begriff klar ist, und kann versuchen, durch direkte Analyse einerseits seine Bedeutung, andererseits die aus ihm sich ergebenden Folgerungen zu
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