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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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meine Hand beißen wollte. Die Kinder wuchsen heran, die Erwachsenen wurden älter, und die Älteren wie mein Vater…
    Das Telefon klingelte langanhaltend. Die Kinder schubsten einander, um den Hörer abzunehmen, ihre Hände reichten jedoch nicht an ihn heran. Es war meine Chanum Djan. Mir sank das Herz in die Knie. Ich wußte, mein Agha Djan war krank. Ich ging ihn oft besuchen. Doch an diesem Tag sagte meine Mutter mit belegter Stimme,mein Vater hätte nach mir verlangt. Er wollte mit seiner Tochter sprechen. Als wir mit Mansurs schwarzem Chevrolet eintrafen, waren bereits alle versammelt. Mein Vater bat jedes seiner Kinder einzeln zu sich und sprach mit ihm. Jedes von ihnen verließ das Zimmer mit Tränen in den Augen.
    Mein Vater rief nach mir und fragte, »Ist Mahbub noch nicht gekommen?« Ich trat ein. Mansur begleitete mich. Mein Vater sagte, »Bist du gekommen, meine Tochter?«
    Ich kniete neben seinem Bett, »Ja, Agha Djan. Wie geht es Ihnen?«
    »Schlecht, liebe Tochter. Sehr schlecht.«
    Wieder zitterte mein Kinn. Wann hatte ich zu weinen begonnen? Ich wußte es nicht. Ich sagte, »Agha Djan…«
    »Weine nicht, meine liebe Tochter. Wir müssen alle sterben.«
    »Ach, nein. Ich weine doch…«
    Mansur setzte sich ans Bett meines Vaters. Seine Augen waren ebenfalls gerötet. Er ergriff die Hand meines Vaters, »Salaam, lieber Onkel.«
    »Ich wünsche dir ein langes Leben, mein Sohn. Ich vertraue dir Mahbub an. Es beruhigt mich, zu wissen, daß du auf sie acht gibst. Weißt du, wie stolz du mich gemacht hast, als du Mahbube geheiratet hast?«
    Mansur lächelte wehmütig, »Sagen Sie das nicht, lieber Onkel.«
    »Nein, nein, nur keine Ausflüchte. Hör mir zu, Mahbube. Ich habe das Haus, das ich dir einst gekauft hatte und das du wegen der Scheidung auf meinen Namen überschrieben hattest, verkauft. Habe ich etwas Falsches getan?«
    Der Anblick meines Sohns unter dem weißen Laken neben der Mauer stand mir vor Augen. Ach, hätte ich doch diesen Teil des Hauses ausschneiden und mitnehmen können. Dann hätte ich ihn ebenfalls in dieses Kästchen gelegt. Ich sagte, »Nein, Agha Djan, das war ganz richtig.«
    Mein Vater, der meine Vollmacht besaß, sagte, »Statt dessen habe ich dir ein Stück Land in Gholhak gekauft. Neben unserem Garten. Natürlich habe ich auch etwas von meinem Geld dazu getan. Es sind nicht mehr als vier- oder fünfhundert Quadratmeter. Aber immerhin ist das auch etwas. Ich wollte wissen, ob du damit zufrieden bist?«
    »Ich bin immer mit Ihnen zufrieden gewesen, Agha Djan.«
    »Mahbub, laß nicht zu, daß Manuchehr sich Sorgen macht. Ich habe es auch deinen Schwestern gesagt. Manuchehr muß studieren. Er muß gehen können, wohin er will. Spart nicht an den Kosten. Natürlich von seinem eigenen Anteil. Aber er muß die besten Schulen besuchen. Die Verantwortung für ihn übertrage ich dir. An erster Stelle gilt dein Wort – und dann die Meinung deiner Mutter. Vielleicht will er ins Ausland gehen, und deine Mutter wird aus mütterlicher Anhänglichkeit dem nicht zustimmen. Aber du mußt für ihn eintreten. Es steht ihm frei zu tun, was richtig ist. Alles, was sein Fortkommen und seinen Aufstieg fördert. Du bist für ihn verantwortlich. In dieser Angelegenheit vertrittst du mich. Hast du das verstanden?«
    Ich hatte begriffen, daß ich Manuchehr wie meinen eigenen Sohn betrachten sollte. Wie einen Sohn, den es nicht mehr gab. Doch die Tränen flossen unerbittlich. Sie ließen mich nicht zu Atem kommen, geschweige denn zum Sprechen. Mansur sagte, »Lieber Onkel, akzeptieren Sie mich ebenfalls? Im Namen Mahbubs und in meinem Namen verspreche ich es Ihnen. Sie können ganz unbesorgt sein.«
    Mein Vater sagte, »Ich wünsche dir ein langes Leben, mein Sohn. Ich bin unbesorgt.« Er verstummte und erklärte dann seinen letzten Willen. Nacheinander führte er die Anteile seines Vermögens auf, die auf Mansur und mich kamen, obwohl er es zuvor bereits schriftlich verfügt hatte. Dann sagte er, »Mahbub Djan, ich weiß, du gehst oft zu Esmat Chanum. Dennoch beauftrage ich dich, es auch weiterhin zu tun. Versage ihr und ihrem Sohn nicht deine Unterstützung. Sie hat niemanden.«
    »Selbstverständlich gehe ich hin, Agha Djan. Auch wenn Sie es nicht gesagt hätten, hätte ich mich nicht von ihnen abgekehrt.«
    Er lachte und strich mir mit der Hand über den Kopf und sagte, »Du bist noch immer ein Trotzkopf. Nun steh auf und geh. Ich will schlafen.«
    Die Tränen gaben mich nicht frei.
    »Steh auf,

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