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Der Mord zum Sonnntag

Der Mord zum Sonnntag

Titel: Der Mord zum Sonnntag
Autoren: Mary Higgins Clark
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nur dagesessen und gegrinst wie
ein Kater, der den Kanarienvogel gefressen hat.»
    Nach dem Abendessen, das keiner von ihnen anrührte,
untersuchte Wilma sorgfältig Ernies Unterhemd, an dem
noch die Sicherheitsnadel hing. «Sie hat sich nicht einmal
die Mühe gemacht, die Nadel herauszuziehen», stellte sie
erbittert fest. «Sie hat einfach hineingegriffen und es
losgerissen.»
    «Können wir sie vielleicht verklagen?» schlug Ernie
vorsichtig vor. Ihm wurde immer klarer, wie ungeheuer
dumm er gewesen war. Er hatte sich betrunken, hatte
Loretta sein Herz ausgeschüttet.
    Wilma war zu müde, um zu antworten. Sie öffnete den
Koffer, den sie noch nicht ausgepackt hatte, und nahm ihr
Flanellnachthemd heraus. «Natürlich können wir sie
verklagen», meinte sie sarkastisch, «dafür, daß sie zu
schnell denkt, wenn sie es mit einem Blödmann zu tun hat.
Jetzt schalte das Licht ab, geh zu Bett und höre auf, dich
zu kratzen. Du machst mich wahnsinnig.»
    Ernie rieb sich ungefähr dort die Brust, wo sich das Herz
befindet.
«Etwas juckt», jammerte er.
Als Wilma die Augen schloß, klingelte es irgendwo in
ihrem Hinterkopf. Sie war so erschöpft, daß sie beinahe
sofort einschlief, aber in ihren Träumen schwebten
Lotterielose wie Schneeflocken durch die Luft. Von Zeit
zu Zeit rissen sie Ernies ruhelose Bewegungen aus dem
Schlaf. Normalerweise rührte er sich genauso wenig wie
ein Bär während des Winterschlafs.
Der Weihnachtsmorgen dämmerte grau und trostlos
herauf. Wilma schleppte sich im Haus herum und legte
lustlos Geschenke unter den Baum. Die beiden Pakete von
Wee Willie. Hätten sie das Gewinnlos nicht verloren,
hätten sie Wee Willie anrufen und sie auffordern können,
über Weihnachten nach Hause zu kommen. Vielleicht
wäre sie ja gar nicht gekommen … Wee Willie mochte die
Mittelklasse-Haushalte im Vorstadtmilieu nicht. In diesem
Fall hätte Ernie seinen Job an den Nagel hängen können,
und sie hätten Wee Willie demnächst in Arizona besucht.
Und Wilma wäre in der Lage gewesen, den
Fernsehapparat mit dem Achtzig-Zentimeter-Bildschirm
zu kaufen, der sie vergangene Woche bei Trader Horn so
beeindruckt hatte. Wenn sie sich vorstellte, daß sie J. R.
achtzig Zentimeter groß sah …
Schon gut. Verschüttete Milch. Nein, verschütteter Alkohol. Ernie hatte ihr erzählt, daß er vorgehabt hatte, das
Lotterielos in ihre Strumpfhose zu stecken und das Ganze
auf den Kaminsims zu hängen. Wilma versuchte, nicht
daran zu denken, wie aufregend das gewesen wäre.
Ernie war seinen Kater noch immer nicht los und hatte
sich schon den zweiten Tag krank gemeldet, aber Wilma
ging trotzdem nicht gerade freundlich mit ihm um. Sie
setzte ihm genau auseinander, was er mit seinem
Brummschädel tun konnte.
Am Nachmittag ging Ernie in das Schlafzimmer und
schloß die Tür hinter sich. Nach einer Weile wurde Wilma
besorgt und folgte ihm. Ernie saß auf dem Bettrand, hatte
das Hemd ausgezogen und kratzte sich kläglich die Brust.
«Mir geht’s gut», erklärte er mit der Leidensmiene, die
ihm nun scheinbar zur Gewohnheit wurde. «Es juckt nur
so verdammt.»
Wilma war zwar etwas erleichtert, weil er keine
Möglichkeit gefunden hatte, Selbstmord zu begehen,
fragte aber gereizt: «Was juckt denn so schrecklich? Es ist
noch nicht Zeit für deine Allergien. Ich höre den ganzen
Sommer über nichts anderes.»
Dann betrachtete sie die entzündete Haut genauer. «Um
Himmels willen, das kommt von Giftsumach. Wo hast du
das her?»
Giftsumach.
Sie starrten einander an.
Wilma holte Ernies Unterhemd von der Kommode. Sie
hatte es dort liegenlassen; die Sicherheitsnadel steckte
noch in ihm, und das Papierfetzchen daran war ein
stummer, feindseliger Beweis für seine Dummheit. «Zieh
es an», befahl sie.
«Aber …»
«Zieh es an!»
Es war sofort klar, daß sich das Zentrum des
Giftsumachs genau dort befand, wo das Los versteckt
gewesen war.
«Dieses verlogene Miststück.» Wilma schob das Kinn
vor und richtete sich auf. «Sie hat doch gesagt, daß Big
Jimbo gegen vier Uhr nach Hause kommen wird?»
«Ich glaube schon.»
«Gut. Es gibt nichts Besseres als ein Empfangskomitee.»
Um fünfzehn Uhr dreißig fuhren sie vor Lorettas Haus
vor und parkten. Wie erwartet, war Jimbos achtachsiger
Sattelschlepper noch nicht da. «Wir bleiben einige
Minuten sitzen und bringen die Betrügerin aus der Ruhe»,
entschied Wilma.
Sie sahen zu, wie die Rollos im Vorderfenster von
Lorettas Haus sich bewegten. Drei
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