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Der Mord zum Sonnntag

Der Mord zum Sonnntag

Titel: Der Mord zum Sonnntag
Autoren: Mary Higgins Clark
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wie die Tapete, schmuddelig und schäbig.
Mike runzelte besorgt die Stirn. «Tut mir leid, Schatz.
War eine Schnapsidee, hierherzukommen. Möchtest du in
ein Hotel gehen? Wir sind an zwei recht ordentlich
aussehenden vorbeigefahren.»
Laurie lächelte ihn an. «Ich möchte hierbleiben, Mike.
Ich möchte, daß du mich an all den wunderbaren
Sommern teilhaben läßt, die du hier verbracht hast. Ich
möchte deine Großmutter als meine reklamieren. Dann
komme ich vielleicht über all das hinweg, was mit mir
geschieht.»
Laurie war von ihrer Großmutter erzogen worden, die an
schwerer Angstneurose litt. Sie hatte versucht, Laurie
Angst vor der Dunkelheit einzuflößen, Angst vor
Fremden, Angst vor Flugzeugen und Autos, Angst vor
Tieren. Als Laurie und Mike sich vor zwei Jahren
kennenlernten, hatte sie ihn schockiert und amüsiert mit
der Litanei haarsträubender Geschichten, die ihre
Großmutter ihr tagtäglich vorgesetzt hatte.
«Wie hast du dich nur so normal entwickelt, so heiter
und vergnügt?» fragte Mike sie dann jedesmal.
«Hätte ich mich von ihr irrenhausreif machen lassen,
war’s aus und vorbei gewesen mit mir.» Doch die letzten
vier Monate hatten gezeigt, daß Laurie letztlich nicht ohne
psychischen Schaden davongekommen war.
Jetzt lächelte Mike ihr zu, betrachtete liebevoll die
leuchtenden meergrünen Augen, die dichten dunklen
Wimpern, die Schatten warfen auf ihre porzellanweiße
Haut, die kastanienbraunen Locken, die das ovale Gesicht
anmutig umrahmten.
«Du bist so verdammt hübsch», sagte er, «und natürlich
erzähl’ ich dir alles über Großmama. Du kanntest sie ja
nur, als sie schon krank und gebrechlich war. Ich werde
dir Geschichten auftischen von unserem gemeinsamen
Angeln bei Sturm, vom Joggen rund um den See und wie
sie mich da angebrüllt hat, Schritt zu halten, vom
Wettschwimmen, bei dem ich sie zum erstenmal schlagen
konnte, als sie sechzig war.»
Laurie nahm sein Gesicht in die Hände. «Hilf mir, so zu
sein wie sie.»
Gemeinsam brachten sie die Koffer und die Lebensmittel
herein, die sie unterwegs gekauft hatten. Mike ging in den
Keller hinunter. Er schnitt eine Grimasse, als er einen
Blick in den 1,20 Meter breiten und 1,80 Meter langen
Bretterverschlag neben dem Heizkessel warf, in dem die
Kohlen lagerten; er befand sich direkt unter dem Fenster,
das beim Entladen des Kippers für die Rutsche geöffnet
wurde. Mike erinnerte sich, wie er als Achtjähriger seiner
Großmutter geholfen hatte, einige Bretter des Verschlages
zu ersetzen. Jetzt wirkten sie durchweg morsch.
«Auch im Sommer wird es nachts manchmal kalt, aber
wir werden’s immer hübsch warm haben, Mike», sagte
seine Großmutter oft, wenn er ihr helfen durfte, Kohlen in
den alten, schwarz gewordenen Heizkessel zu schaufeln.
Mike entsann sich noch genau, daß sich die blanken
schwarzen Eierbriketts früher immer zu Bergen türmten.
Jetzt war der Verschlag fast leer. Der Vorrat reichte gerade
noch für zwei bis drei Tage. Er griff zur Schaufel.
Der Heizkessel funktionierte noch, kam geräuschvoll auf
Touren, was rasch im ganzen Haus zu hören war. Die
Röhren klapperten und rasselten, als Heißluft zischend
nach oben entwich.
In der Küche hatte Laurie die Lebensmittel ausgepackt
und mit der Zubereitung eines Salates begonnen. Mike
grillte ein Steak. Sie machten eine Flasche Bordeaux auf
und aßen nebeneinander an dem alten Emailtisch, im
vertraulichen Schulterschluß.
Als sie die Treppe zum Schlafzimmer hinaufgingen,
entdeckte Mike den Zettel, den die Mäklerin auf dem
Flurtisch hinterlassen hatte. «Hoffe, Sie finden alles in
Ordnung vor. Tut mir leid wegen des Wetters.
Kohlenlieferung am Freitag.»
Sie entschieden sich für das Zimmer seiner Großmutter.
«Sie hat dieses Messingbett geliebt», erklärte Mike.
«Keine einzige Nacht, in der sie nicht wie ein Baby darin
geschlafen hätte, behauptete sie immer.»
«Hoffen wir, daß es mir genauso geht.» Laurie seufzte.
Im Wäscheschrank lagen saubere Laken, aber sie fühlten
sich feucht und klamm an. Die Sprungfedermatratzen
rochen muffig. «Wärme mich», flüsterte Laurie
erschauernd, als sie sich zudeckten.
«Mit Vergnügen.»
Sie hielten sich fest umschlungen, als sie einschliefen.
Um drei Uhr begann Laurie zu schreien, ein
durchdringender, wehklagender Schrei, der durchs ganze
Haus hallte. «Geht weg. Weg mit euch. Ich will nicht.
Nein, ich will nicht.»
Es dämmerte bereits, als sie aufhörte zu schluchzen. «Sie
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