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Der Mord zum Sonnntag

Der Mord zum Sonnntag

Titel: Der Mord zum Sonnntag
Autoren: Mary Higgins Clark
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Windstoßfrisur aufgetürmt
hatte, schob die Achselpolster ihres flitterbesetzten
Pullovers zurecht und lief in den winzigen Vorraum. Als
sie die Tür öffnete, setzte sie ein strahlendes Lächeln auf,
achtete aber gleichzeitig darauf, nicht zu sehr zu lächeln.
Ihr Gesicht war eine ihrer ständigen Sorgen, weil das
Gesicht ihrer Mutter im Alter von sechzig Jahren wie
zerknittertes Seidenpapier ausgesehen hatte. «Was für eine
reizende Überraschung – Wilma, Ernie», sprudelte sie
hervor. «Kommt herein, kommt doch herein.»
    Sie übersah großzügig, daß weder Wilma noch Ernie ihr
antworteten, daß keiner sich die Mühe machte, sich auf
der eigens zu diesem Zweck im Vorzimmer liegenden
Fußmatte den Schnee von den Schuhen abzustreifen, daß
sie die Begrüßung weder lächelnd noch herzlich
erwiderten.
    Wilma lehnte es ab, sich zu setzen, eine Tasse Tee oder
eine Bloody Mary zu trinken. Sie sagte klar und deutlich,
weshalb sie gekommen waren. Ernie hatte ein ZweiMillionen-Lotterielos besessen. Er hatte Loretta in der
Harmonie-Bar davon erzählt. Loretta hatte ihn von der
Harmonie nach Hause gefahren und in sein Zimmer
gebracht. Ernie war umgekippt – und das Los war weg.
    Bevor Loretta hauptberuflich Revuegirl wurde, hatte sie
1945 in der Sonny-Tufts-Schule für Thespisjünger
Theaterspielen gelernt. Sie stützte sich auf diese lang
zurückliegende Erfahrung, während sie Wilma und Ernie
ihre gut einstudierte Szene ehrlich und ernsthaft vorspielte.
Ernie hatte ihr nie auch nur ein Wort von einem
Gewinnlos gesagt. Sie hatte ihn nur deshalb nach Hause
gefahren, weil sie ihm und Lou einen Gefallen erweisen
wollte. Lou wollte noch zusperren, und er war außerdem
ein solcher Zwerg, daß er mit Ernie nicht um die
Wagenschlüssel kämpfen konnte. «Du hast dich
wenigstens bereit erklärt, mich fahren zu lassen», erklärte
sie Ernie entrüstet. «Indem ich dich in meinem Wagen
schnarchen ließ, habe ich mein Leben aufs Spiel gesetzt.»
Sie wandte sich an Wilma, um von Frau zu Frau mit ihr zu
sprechen. «Du weißt doch, wie eifersüchtig Jimbo, dieser
dumme Kerl, auf mich ist. Als wäre ich noch sechzehn.
Ich würde auf keinen Fall dein Haus betreten, Wilma,
wenn du nicht da bist. In der Harmonie warst du wirklich
schnell hinüber, Ernie. Frag doch Lou. Bist du zuerst in
einem anderen Lokal eingekehrt und hast dort vielleicht
jemandem von dem Los erzählt?»
    Als Loretta den Zweifel und die Verwirrung auf den
Gesichtern der beiden sah, beglückwünschte sie sich.
Einige Minuten später gingen sie. «Hoffentlich findet ihr
es. Ich werde darum beten», versprach sie fromm. Sie
wollte ihnen nicht die Hand geben und erzählte Wilma
vom Treibhaus ihrer dummen Schwägerin und ihrer
Giftsumach-Zucht. «Kommt auf einen Weihnachtsdrink zu
uns», drängte sie. «Jimbo wird am Heiligen Abend gegen
vier Uhr nach Hause kommen.»
    Als sie zu Hause niedergeschlagen bei einer Tasse Tee
saßen, erklärte Wilma: «Sie lügt. Ich weiß, daß sie lügt,
aber wer kann es beweisen? Fünfzehn Gewinner haben
sich bereits gemeldet. Einer fehlt und hat ein Jahr Zeit, den
Gewinn zu beanspruchen.» Sie merkte gar nicht, daß ihr
Tränen der Enttäuschung über die Wangen liefen. «Sie
erzählt jedem, der es hören will, daß sie ihre Lose in den
verschiedensten Geschäften kauft. Das wird sie auch
während der nächsten einundfünfzig Wochen tun, und
dann wird sie das Los finden, das sie vollkommen
vergessen hatte.»
    Ernie beobachtete seine Frau verzweifelt und stumm. Es
kam nicht häufig vor, daß Wilma weinte. Als ihr Gesicht
fleckig wurde und ihre Nase anfing zu laufen, hielt er ihr
sein rotes, großes Taschentuch hin. Seine plötzliche
Bewegung brachte einen Keramik-Kolibri aus dem
Gleichgewicht, der von der Anrichte hinter Ernie auf den
Boden fiel. Der Schnabel des Kolibris zersplitterte auf den
Fliesen aus Marmorimitation in der Frühstücksnische der
Küche, und Wilma begann wieder zu jammern.
    «Ich hatte gehofft, daß Wee Willie in der Lage sein
würde, den Posten bei McDonald aufzugeben, zu studieren
und nur noch Vögel herzustellen», schluchzte sie. «Und
jetzt ist dieser Traum geplatzt.»
    Um ganz sicher zu sein, ging sie zum Glückskleeblatt in
der Nähe des Kaufen-Sie-Hier-Einkaufszentrums in
Paramus: Der Barmann bestätigte, daß Ernie am
vergangenen Abend gegen Mitternacht dort gewesen war,
zwei oder drei Drinks konsumiert, aber mit niemandem
gesprochen hatte. «Er hat
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