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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
Autoren: Rick Yancey
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Kearns-Grinsen auf, nahm die Büchse in die Armbeuge und tätschelte mir freundlich den Kopf, so wie ein Onkel einem lieben Neffen.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er.
    Ich hob die Augen – Oculi Dei hatte Kearns sie genannt – und blickte direkt in seine, und er erkannte darin seine eigenen, jedoch zu spät, zu spät, und bevor er das Gewehr heben oder zurückweichen konnte, kam Awaales langes Messer angezischt und vergrub sich in seinem Hals.
    Er ging in die Knie, die Augen weit aufgerissen vor Erstaunen. Er machte Anstalten, das Gewehr zu heben. Ich trat es ihm aus den Händen. Er brachte sie hoch zu der klaffenden Wunde in seinem Hals – das Blut pulsierte im Rhythmus seines sterbenden Herzens –, während er verwundert zu mir hochblickte. Und dann kippte er vornüber, griff noch nach mir mit seinen blutigen Händen, aber ich war zu weit weg. Ich war außerhalb seiner Reichweite.
    Ich ging zum Gewehr, hob es auf, brachte es dorthin zurück, wo seine Leiche lag. Ich schob es unter ihn. Dann hob ich seinerechte Hand an und zwang seinen Finger durch den Abzugsbügel. Ich trat zurück, um mein Werk in Augenschein zu nehmen.
    Es gibt keine Monster. Es gibt nur Menschen.
    Ich raffte das Messer auf und rannte los, um den Doktor zu holen.

Vierundvierzig
    »Ein gefallener Stern«

    »Erzähl es mir noch einmal!«, sagte der Doktor.
    Ich tat es ohne Zögern, und mein Blick war so unerschütterlich wie meine Geschichte. Kearns hatte tatsächlich Lunte gerochen und mir keine andere Wahl gelassen, als mich zu verteidigen.
    »Er stand also im Begriff, dich aus nächster Nähe zu erschießen«, wiederholte der Monstrumologe zweifelnd. »Mit einer Winchester-Büchse.«
    »Ja, Doktor. Er zielte damit genau auf meine Brust und sagte mir, dass es ihm leidtäte, er aber keine andere Wahl habe.«
    »So wie du. Keine andere Wahl.«
    »Ja, Sir.«
    »Also hast du ihm in den Hals gestochen. Während er dir ein Gewehr an die Brust hielt.«
    »Ja, Sir.«
    »Wie hast du das geschafft? Nahe genug heranzukommen mit dem Lauf einer Winchester zwischen euch?« Es fiel ihm offenbar schwer, es sich vorzustellen.
    »Ich schlug das Gewehr mit der linken Hand weg und stieß mit der rechten zu.«
    »Du hast es weggeschlagen?«
    »Ich meine, ich habe es weggestoßen. Er hat es nie losgelassen.«
    »Und er hat die ganze Zeit über nicht gemerkt, dass du ein Messer in der Hand hast?«
    »Ich hatte es hinter meinem Rücken versteckt.«
    »Als er also das Gewehr hob, um dich zu erschießen«, sagte er langsam, »fuhr deine rechte Hand blitzschnell hinter deinen Rücken, mit der linken schlugst du das Gewehr weg, und im selben Moment zogst du mit der rechten das Messer und stachst ihm in den Hals?«
    »Ja.«
    »Ja?«
    »Ja, Sir.«
    Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Das war geistesgegenwärtig.«
    »Ja, Sir. Ich meine, danke, Sir.«
    »Und ausgesprochen schnelle Reflexe. Das musst du mir irgendwann einmal demonstrieren.«
    »Ich musste ihn töten, Dr. Warthrop.«
    »Hm. Ja. Ich nehme an, das musstest du, Will Henry. Selbsterhaltung ist dein unbestreitbares Recht.«
    »Ich musste es tun«, beteuerte ich beharrlich. »Für uns beide.«
    »Mir gefiel der Plan besser, als er beinhaltete, ihn den Pfad hinunterzulocken, damit ich ihm eins über den Schädel ziehen kann.«
    »Ich hatte es nicht geplant. Es ist einfach … passiert.«
    »Habe ich gesagt, dass du es geplant hast, Will Henry? Nun, das wäre etwas ganz anderes. Es wäre nicht wie das, was in Aden passiert ist. Es war nicht nötig, John Kearns zu töten.«
    »Trotzdem ist es besser, dass er tot ist.«
    Er runzelte die Stirn. Sein Blick suchte meinen, und noch immer sah ich nicht weg.
    »Wieso, Will Henry?«
    »Wenn wir ihn einfach nur hiergelassen hätten, hätte er vielleicht einen Weg gefunden, die Insel zu verlassen. Ich glaube, er hätte tatsächlich einen Weg gefunden, weil er … weil er John Kearns ist.«
    »Und? Welche Rolle spielt das, solange wir entkommen?«
    »Es spielt eine Rolle, Sir, weil Sie immer noch eine Bedrohungfür ihn darstellen würden. Sie wissen zu viel. Sie haben zu viel gesehen.«
    Es trat ein Schweigen ein. Er sah mich an, und ich erwiderte seinen Blick, während die letzten Sterne am Himmel allmählich verblassten.
    »Ich glaube, das haben wir beide, Will«, sagte er, womit er zwar das Schweigen zwischen uns brach, jedoch die Sache, die schweigend zwischen uns lag, unangetastet ließ.
    * * *
    In der zehnten Stunde unseres letzten Tages auf der
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