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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
Autoren: Rick Yancey
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verzeihen.‹
    ›Wer?‹, fragte ich. Verstehen Sie, ich war zu diesem Zeitpunkt völlig außer mir, denn es war mir endlich aufgegangen, dass er der Grund für mein plötzliches und geheimnisvolles Gebrechen war. ›Wer würde Ihnen nie verzeihen?‹
    ›Warthrop! Warthrop natürlich! Der Monstrumologe. Nun erzählen Sie mir nicht, Sie hätten noch nie von ihm gehört! Er ist ein sehr teurer Freund von mir. Man könnte uns Brüder nennen, in einem spirituellen Sinn selbstverständlich, obwohl wir nicht unterschiedlicher sein könnten. Zum einen ist er viel zu ernst, und für jemanden, der sich selbst Wissenschaftler nennt, besitzt er eine merkwürdige romantische Ader. Hat einen Erlöserkomplex, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Will die ganze verdammte Welt vor sich selbst retten, wohingegen meine Devise immer ›leben und leben lassen‹ war. Na, eines Tages tötete ich eine große Spinne – und wurde anschließend von Gewissensbissen verzehrt, denn was hatte diese Spinne mir denn jemals getan? Reichen allein meine überlegenen geistigen Fähigkeiten und Körpergröße, um mich besser zu machen als meine achtbeinige Mitbewohnerin? Ich habe mich nicht mehr dazu entschieden, ein Mensch zu sein, als sie eine Spinne. Waren wir nicht beide ebenbürtige Spieler im großen Plan, jeder die Rolle ausfüllend, die uns zugewiesen wurde – bis ich den heiligen Bund zwischen uns und dem, der uns erschuf, brach? Das ist genug, um die Seele eines Mannes entzweizureißen!‹
    ›Sie sind verrückt!‹, sagte ich ihm; ich konnte nicht anders.
    ›Ganz im Gegenteil, mein lieber Kendall‹, entgegnete das Ungeheuer. ›Es ist Ihr großes Glück, sich in der Gesellschaft des geistig gesündesten Menschen auf der ganzen Welt zu befinden. Es hat mich Jahre gekostet, mich von aller Verblendung und Verstellung zu befreien, den Mantel der selbstgerechten Überlegenheit, in den wir Menschen uns hüllen, abzuwerfen. In diesem Sinne ist die Spinne uns überlegen. Sie stellt nicht ihre Natur infrage. Sie ist von keinem Selbstempfinden belastet. Der Spiegelist für sie nichts als eine Glasscheibe. Sie ist rein, so unschuldig wie Adam vor dem Sündenfall. Selbst Warthrop, dieser unverbesserliche Moralist, würde mir da zustimmen. Ich habe nicht mehr Recht, die Spinne zu töten, als Sie, mich zu beurteilen. Sie , Sir, sind der Hase bei dieser Teegesellschaft; ich bin Alice.‹
    Er zog sich einen Moment lang zurück, während ich dalag, als drückte mich ein tonnenschwerer Felsblock nieder, kaum fähig, den nächsten Atemzug zu tun. Als er wiederkam, hielt er die Spritze in der Hand. Ich will gern zugeben, Warthrop, dass ich noch nie eine solche Angst erlebt hatte. Der Raum begann sich erneut zu drehen, aber nicht aufgrund irgendeines Schlaftrunks, sondern vor schierem Entsetzen. Hilflos beobachtete ich, wie er das Glas antippte und auf den Kolben drückte. Ein einzelner Tropfen hing an der Nadelspitze und glitzerte im Lampenlicht wie der feinste Kristall.
    ›Wissen Sie, was das ist, Kendall?‹, fragte er sanft, und dann kicherte er lange und leise. ›Natürlich wissen Sie es nicht! Ich werde phrasenhaft. Es handelt sich um ein sehr seltenes Toxin, das aus dem Saft des Pyritbaums destilliert wird, ein interessantes Beispiel für eine der bösartigeren Pflanzen des Schöpfers, heimisch auf einer einzigen Insel, welche sich vierzig Seemeilen vom Galapagosarchipel entfernt befindet, genannt die Insel der Dämonen. Ich liebe diesen Namen, Sie nicht? Er ist so … sinnträchtig. Aber jetzt werde ich poetisch.‹
    Er kam nahe heran – so nahe, dass ich mein eigenes Spiegelbild in den dunklen, unbewegten Tümpeln, die seine Augen waren, sehen konnte. Oh, diese Augen! Sollte ich sie in tausend Jahren noch einmal sehen, es wäre zu früh! Schwärzer als das schwärzeste Loch, leer – so leer von … von allem , Dr. Warthrop. Nicht menschlich. Nicht tierisch. Nicht irgendetwas .
    ›Man nennt es Tipota‹, flüsterte er. ›Denken Sie daran, Kendall! Wenn Warthrop Sie fragt, womit ich Sie gestochen habe, dann sagen Sie ihm das. Sagen Sie ihm: ›Es ist Tipota. Er hat mich mit Tipota vergiftet!‹«
    Mein Herr nickte ernst, aber entdeckte ich da einen Anflugvon Belustigung in seinen Augen? Ich wunderte mich, was an dieser schrecklichen Geschichte der Monstrumologe auch nur im Mindesten komisch finden konnte.
    »Er steckte mir ein Stück Papier in die Tasche – ja! Hier ist es; ich habe es immer noch.«
    Er hielt es hoch, sodass der
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