Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
Autoren: Rick Yancey
Vom Netzwerk:
meiner Macht Stehende tun«, hörte ich ihn zu dem Mann sagen, als ich davonhastete. »Aber Sie müssen sich zusammenreißen und mir in klaren und einfachen Worten erzählen …«
    Als ich zurückkam, war unser gepeinigter Kurier in Ohnmacht gefallen: Die Augen rollten ihm im Kopf, die Hände zuckten im Schoß, aus seinem Gesicht war sämtliche Farbe geschwunden. Der Doktor nahm das Stethoskop aus dem Koffer und hörte das Herz des Mannes ab, wobei er sich tief über die bebende Gestalt beugte und dabei die Beine weit spreizte, um das Gleichgewicht zu wahren.
    »Galoppiert wie ein durchgegangenes Pferd, Will Henry«, murmelte der Monstrumologe. »Aber keine Anomalien oder Unregelmäßigkeiten, die ich feststellen könnte. Rasch, ein Glas Wasser!«
    Ich erwartete, dass er dem Not leidenden Mann etwas zu trinken einflößen würde; stattdessen kippte ihm Warthrop den gesamten Inhalt des Glases über den Kopf. Die Augen des Mannes klappten jäh auf. Der Mund formte ein überraschtes O .
    »Welche Art von Gift hat er Ihnen verabreicht?«, fragte mein Herr mit strenger Stimme. »Hat er es gesagt? Antworten Sie!«
    »Tip … Tipota … vom Pyritbaum.«
    »Tipota?« Der Doktor runzelte die Stirn. »Von was für einem Baum?«
    »Pyrit! Tipota, vom Pyritbaum auf der Insel der Dämonen!«
    »Die Insel der Dämonen! Aber das ist ja … außergewöhnlich. Sind Sie ganz sicher?«
    »Scheiße! Ich denke, ich werde mich wohl noch daran erinnern, womit er mich vergiftet hat!«, stieß der Mann aufgebracht hervor. »Und er hat gesagt, Sie hätten das Gegengift! Oh! Oh! Es ist so weit!« Er griff sich mit den Händen an die Brust. »Mein Herz explodiert!«
    »Das denke ich nicht«, sagte der Doktor langsam. Er trat zurück und musterte den Mann aufmerksam, indes die dunklen Augen mit jenem unheimlichen hinterleuchteten Feuer in ihren Höhlen herumhüpften. »Wir haben noch ein paar Momente … aber nur ein paar! Will Henry, bleibe bei unserem Gast, während ich das Antidot zusammenmische!«
    »Dann bin ich nicht zu spät?«, erkundigte sich der Mann ungläubig, als dürfte er sich nicht erkühnen, sich Hoffnung zu gestatten.
    »Wann wurde das Gift verabreicht?«
    »Am Abend des Zweiten.«
    »Dieses Monats?«
    »Ja, ja – natürlich diesen Monat! Ich wäre mausetot, wenn es letzten Monat gewesen wäre, so viel steht fest!«
    »Natürlich – vergeben Sie mir. Tipota wirkt zwar langsam, aber so langsam nun auch wieder nicht! Ich bin sofort wieder da. Will Henry, rufe mich augenblicklich, falls sich der Zustand unseres Freundes ändert!«
    Der Doktor stürmte die Treppe zum Kellergeschoss hinunter und ließ die Tür dabei ein Stück weit offen stehen. Wir konnten hören, wie gläserne Gefäße aneinanderstießen, das Klingen und Klirren von Metall, das Zischen eines Bunsenbrenners.
    »Was, wenn er sich irrt?«, stöhnte der Mann. »Was, wenn es zu spät ist? Meine Sehkraft schwindet – das passiert doch kurz vor dem Ende! Man wird blind, und das Herz zerplatzt – zerplatzt in tausend Stücke in der Brust! Dein Gesicht, Kind. Ich kann dein Gesicht nicht sehen. Es ist in der Dunkelheit verschwunden. Die Dunkelheit kommt! Oh, möge er für alleEwigkeit im tiefsten Kreis der Hölle brennen – der Unhold – der Teufel!«
    Der Doktor kam wieder ins Zimmer gesprungen, in der Hand eine Spritze mit olivgrüner Flüssigkeit. Bei seinem Eintreten setzte sich der Sterbende mit einem Ruck im Sessel auf und rief: »Wer ist das?«
    »Ich bin’s, Warthrop«, antwortete der Doktor. »Lassen Sie uns Ihnen diesen Mantel ausziehen. Will Henry, hilf ihm bitte.«
    »Sie haben das Gegengift?«, fragte der Mann.
    Der Doktor nickte knapp, zog den Ärmel des Mannes hoch und stieß die Nadel ins Fleisch.
    »Das wär’s!«, sagte Warthrop. »Das Stethoskop, Will Henry. Danke.« Er lauschte ein paar Sekunden lang dem Herzschlag des Mannes, und ich dachte, es müsste ein Gaukelbild des Lichts sein, denn ich erspähte etwas die Lippen des Doktors umspielen, das wie ein Lächeln aussah. »Ja. Wird beträchtlich langsamer. Wie fühlen Sie sich?«
    In die Wangen des Mannes war ein wenig Farbe zurückgekehrt, und seine Atmung hatte sich beruhigt. Was auch immer der Doktor ihm gegeben hatte, hatte eine heilsame Wirkung. Er sprach zögernd, als könne er sein Glück nicht fassen. »Besser, denke ich. Ich fange an, wieder scharf zu sehen.«
    »Gut! Es wird Sie möglicherweise erleichtern zu erfahren, dass –«, begann der Monstrumologe, ehe er sich selbst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher