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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
Autoren: Rick Yancey
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denkwürdigsten Fallstudien aufzuzeichnen. Natürlich wartete ich damit, bis er in einer seiner besseren Stimmungen war. Sich an Pellinore Warthrop zu wenden, während er einem seiner häufigen Anfälle von Melancholie frönte, konnte gefährlich für das körperliche Wohlbefinden sein. Einmal, als ich diesen unbesonnenen Zug machte, warf er einen Band von Shakespeares Tragödien nach meinem Kopf.
    Der Moment bot sich bei der Zustellung der Tagespost, unter der sich ein Brief von Präsident McKinley befand, in dem dieser Warthrop für seinen Dienst am Vaterland beim zufriedenstellenden Abschluss »jenes eigenartigen Vorfalls in den Adirondacks« dankte. Der Doktor, dessen Ego so robust wie einer von Mr P. T. Barnums Kraftprotzen aus der Nebenvorstellung war, las ihn dreimal laut vor, bevor er ihn meiner Obhut anvertraute. Ich war unter anderem sein Registrator – oder besser gesagt, ebenso wie alles andere. Nichts außerhalb seiner Arbeit konnte die Laune des Monstrumologen mehr aufhellen als eine leichte Berührung mit Prominenz. Es schien irgendeine tiefe Sehnsucht in ihm zu stillen.
    Über das Heben seiner moribunden Stimmung und der damit – zumindest vorübergehend – verbundenen Gewährleistung meiner körperlichen Unversehrtheit hinaus lieferte der Brief auch das perfekte Entree für meinen Vorschlag.
    »Das war schon ziemlich eigenartig, nicht wahr?«, fragte ich.
    »Hm? Ja, ich denke schon.« Der Monstrumologe war in die jüngste Ausgabe der Saturday Evening Post vertieft, die ebenfalls an diesem Tag angekommen war.
    »Es ergäbe eine tolle Geschichte, wenn sie jemand erzählen würde«, wagte ich zu äußern.
    »Ich habe daran gedacht, ein kleines Stück fürs Journal vorzubereiten«, erwiderte er. Das Journal der Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaft der Monstrumologie war die offizielle Vierteljahresschrift der Gesellschaft.
    »Ich dachte an etwas mehr für die breite Öffentlichkeit Bestimmtes. Ein Artikel für die Post zum Beispiel.«
    »Ein interessanter Gedanke, Will Henry«, sagte er. »Aber gänzlich undurchführbar. Ich habe dem Präsidenten das Versprechen gegeben, dass die Angelegenheit streng vertraulich bleibt, und ich bezweifle nicht, dass, sollte ich meinen Schwur brechen, ich mich in Fort Leavenworth eingesperrt wiederfinden könnte, nicht gerade der ideale Ort, um meine Studien zu verfolgen.«
    »Aber wenn Sie etwas im Journal veröffentlichen würden …«
    »Ach, wer liest denn das schon?«, schnaubte er verächtlich und winkte ab. »Es ist das Wesen meiner Profession, Will Henry, im Verborgenen zu arbeiten. Ich meide die Presse aus sehr gutem Grund – um die Öffentlichkeit zu schützen und um meine Arbeit zu schützen. Man stelle sich vor, was die Bekanntmachung dieser Angelegenheit anrichten würde – der Sturm der Panik und der gegenseitigen Beschuldigungen! Ha, der halbe Staat New York würde sich leeren, und der Rest würde auf meiner Schwelle erscheinen, um mich am nächsten Baum aufzuknüpfen!«
    »Manche würden vielleicht auch sagen, dass Ihre Handlungen nichts weniger als heldenhaft waren«, hielt ich ihm entgegen. Wenn ich schon nicht an seine Vernunft appellieren konnte, wollte ich mich an sein Ego wenden.
    »Manche haben das«, erwiderte er, womit er sich auf den Brief des Präsidenten bezog. »Und das muss genug sein.«
    Aber nicht ganz genug; ich wusste, was er meinte. Mehr als einmal hatte er an seinem Krankenbett meine Hand ergriffen und mich mit diesen dunklen, hinterleuchteten Augen, die fast verrückt vor Kummer und Verzweiflung waren, flehentlich angeblickt, mich angebettelt, nie zu vergessen, sein Andenken über das Grab hinauszutragen. Du bist alles, was ich habe, Will Henry. Wer sonst wird sich meiner erinnern, wenn ich nicht mehr bin? Ich werde der Vergessenheit anheimfallen, und die Welt wird mein Ableben nicht bemerken, noch wird es sie kümmern!
    »Na schön. Dann ein anderer Fall. Die Sache in Campeche, bei Calakmul …«
    »Was soll das werden, Will Henry?« Er funkelte mich über das Magazin an. »Kannst du nicht sehen, dass ich zu entspannen versuche?«
    »Holmes hat seinen Watson.«
    »Holmes ist eine fiktive Figur«, legte er dar.
    »Aber er basiert auf jemand Realem.«
    »Ach!« Er lächelte mich durchtrieben an. »William James Henry, hast du etwa literarische Ambitionen? Ich bin verblüfft!«
    »Dass ich literarische Ambitionen haben könnte?«
    »Dass du überhaupt irgendwelche Ambitionen hast.«
    »Nun«, sagte ich und holte
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