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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo
Autoren: Rick Yancey
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der ehrenwerte Präsident von Helrung beabsichtigt, den beigefügten Antrag beim jährlichen Kongress in New York im November dieses Jahres vorzulegen. Dass er der Urheber dieses empörenden Vorschlags ist, daran habe ich keinen Zweifel, und ich würde Sie nicht belästigen, wenn ich auch nur ein Fünkchen Ungewissheit hätte.
    Der Mann ist eindeutig wahnsinnig geworden. Das kümmert mich so wenig wie der Mann, aber meine Sorge ist nicht ungerechtfertigt. Ich betrachte, ich halte sein heimtückisches Vorbringen für eine ernsthafte Bedrohung der Legitimität unseres Berufs mit dem Potenzial, unsere Arbeit dazu zu verdammen, in Vergessenheit zu geraten oder – schlimmer noch – uns dazu zu verdammen, im öffentlichen Bewusstsein den Platz zu teilen mit dem Scharlatan und Quacksalber. Ich verbürge mich dafür, dass es keine Hyperbel ist zu beteuern, dass die gesamte Zukunft unserer Disziplin auf dem Spiel steht.
    Ich bin sicher, sobald Sie diesen beleidigenden Quatsch gelesen haben, werden Sie mit mir darin übereinstimmen, dass unsere einzige Hoffnung in einer kraftvollen Erwiderung auf die Beendigung seiner Einreichung liegt. Und ich kann mir keinen besseren Mann denken, um die beängstigenden und gefährlichen Abhandlungen unseres geschätzten Präsidenten in Abrede zu stellen, als Sie, Dr. Warthrop, den führenden Philosophen der Abweichenden Naturgeschichte seiner Generation.
    Ich verbleibe, wie stets etc. etc.
Ihr erg. Diener.
    Ein besorgter Kollege.
    Ein einziges Durchlesen der beiliegenden Monographie Abram von Helrungs überzeugte den Doktor, dass sein Briefpartner in zumindest einer Hinsicht recht hatte: Der Vorschlag stellte in der Tat eine Gefahr für die Legitimität seiner geliebten Profession dar. Dass er die beste – und offensichtliche – Wahl war, umdie Behauptungen des namhaftesten Monstrumologen auf der Welt zu widerlegen, davon musste niemand erst noch überzeugt werden. Pellinore Warthrops Genie schloss die tiefschürfende Einsicht mit ein, dass er nun einmal eines war.
    Also wurde alles beiseitegelegt. Besucher wurden abgewiesen. Briefe blieben unbeantwortet liegen. Sämtliche Einladungen wurden abgelehnt. Seine Studien wurden im Stich gelassen. Schlaf und Nahrungszufuhr wurden aufs Allernotwendigste reduziert. Seine siebenunddreißigseitige Monographie mit dem ziemlich schwerfälligen Titel Sollen wir die Naturwissenschaft der Monstrumologie in die Abfalltonne der Geschichte verdammen? Eine Erwiderung an den ehrenwerten Präsidenten Dr. Abram von Helrung auf seinen Antrag beim einhundertzehnten Kongress der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft der Monstrumologie, um bis dato mythische Kreaturen übernatürlichen Ursprungs zu untersuchen und deren Einbeziehung in das Verzeichnis der Anomalen Spezies zu erwägen durchlief mehrere Überarbeitungen und Verfeinerungen im Laufe dieses hektischen Sommers.
    Natürlich gewann er mich für die Sache als seinen Forschungsassistenten, zusätzlich zu meinen Pflichten als Koch, Dienstmädchen, Diener, Wäschemann und Botenjunge. Ich holte Bücher, nahm Diktate auf und spielte Zuhörerschaft für seine steife, übermäßig formelle, manchmal grotesk sperrige Eingabe. Er pflegte stocksteif dazustehen, die schlaksigen Arme starr hinter dem Rücken verschränkt, die Augen unbeirrbar auf den Boden gerichtet, das Kinn gesenkt, sodass seine ansonsten unwiderstehlich dunklen Züge im Schatten verschwunden waren.
    Er lehnte es ab, direkt aus seiner Abhandlung zu lesen, daher »steigerte« er sich oft in die Ausdrucksweise des Dramas hinein, wobei er völlig den Faden seiner Argumentation verlor und im undurchdringlichen Dickicht seiner Gedanken umherirrte wie König Pellinore, sein Namensvetter, auf der Suche nach dem schwer fassbaren Questentier seiner Beweisführung.
    Zu anderen Zeiten verfiel er in wuchernde Abschweifungen, die die Zuhörerschaft von der Geburt der Monstrumologie im frühen achtzehnten Jahrhundert (beginnend mit Bacqueville de la Potherie, dem anerkannten Vater dieses merkwürdigsten der esoterischen Wissenschaftszweige) bis hin zur Gegenwart führten, mit Verweisen auf obskure Persönlichkeiten, deren Stimmen schon längst in der allumfassenden Umarmung des Dunklen Engels erstickt worden waren.
    »Nun, wo war ich, Will Henry?«, fragte er dann nach einem dieser ausgedehnten Vorträge immer. Untrüglich kam diese Frage stets genau in dem Moment, da mein Geist sich auf die Wanderschaft zu interessanteren Themen begeben hatte, meistens
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