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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
Autoren: A. Lee Martinez
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vollkommen unbewusst. Aber wenn ein Stockwerk besonders laut wird, kann das ab und zu auch Auswirkungen auf Nachbarn in der näheren Umgebung haben. Und manchmal bekommt ein Stockwerk ein Leck, oder ein Fenster geht für kurze Zeit auf, dann kann das Ganze für beide Stockwerke ein bisschen wackelig werden, bis sich die Anomalie wieder korrigiert hat. Oder die Stockwerke werden herumgeschoben, und dabei endet etwas von Stockwerk A auf Stockwerk B, wo es eigentlich nicht hingehört. Es gibt Verbindungen zwischen den Stockwerken, verstehst du? Wie Lüftungskanäle oder Jefferies-Röhren oder Kriechschächte oder so. Unsichtbare Lücken in der Struktur des Universums, die wahrscheinlich irgendeinem nützlichen Zweck dienen, die aber manche Wesen – unabsichtlich, in meinem Fall – benutzen, um von einem Stockwerk zum anderen zu gelangen. Und unser Apartment ist eine dieser Falltüren.
    Aber man lässt seine alte Welt nicht hinter sich. Ein Teil davon kommt mit, egal, wohin man geht. Und so stehen wir beide jeweils mit einem Bein in verschiedenen Stockwerken. Einen Fuß in unserem eigenen Teil der Realität und den anderen in einer fremden Wahrnehmung, die wir eigentlich nie haben sollten.«
    »Aber warum?«, fragte sie. »Wie passiert so etwas?«
    »Hab nicht die geringste Ahnung«, sagte Vorm. »Bevor ich in Kontakt mit deiner Welt kam, war ich nur eine gnadenlose zerstörerische Kraft, ein blindwütiger Fresser.«
    Sie warf ihm einen schnellen Seitenblick zu.
    »Hey, ich arbeite dran!«, sagte er. »Dich hab ich schließlich nicht gefressen, oder?«
    »Du hast es versucht.«
    »Wenn diese Beziehung funktionieren soll, musst du darüber wegkommen.«
    »Welche Beziehung?«, fragte sie.
    »Ob es dir gefällt oder nicht – wir sind miteinander verbunden«, sagte Vorm.
    »O nein, das sind wir nicht!«
    Er knirschte mit den Zähnen. Da er eine Menge Zähne hatte, mehrere Reihen davon, machte das ein höllisches Knirschgeräusch.
    »Hey, Bewusstsein ist auch nicht das Nonplusultra! Jetzt gehen mir all diese komplizierten Gedanken im Kopf herum, und einige davon sind echt verwirrend! Sie greifen nicht besonders gut ineinander. Es ist wie mit dir: Ein Teil von mir will dich fressen. Aber ein anderer Teil von mir hat das Gefühl, das wäre nicht nett, weil du mich schließlich aus diesem Schrank befreit hast. Wieder ein anderer Teil von mir glaubt: Wenn ich dich töte, befreit mich das vielleicht aus diesem Teil der Realität, und ich kann nach Hause, wo ich mir um nichts weiter Gedanken machen musste, als alles zu verdauen, was seinen Weg in einen von meinen zweitausendvierzehn Mägen gefunden hat. Aber ein anderer Teil glaubt, dass ich vielleicht gar nicht zurückwill, jetzt, da ich eine Welt gefunden habe, in der nicht alles so simpel ist wie dieser endlose, alles verschlingende Hunger. Aber ein anderer …«
    »Ich hab’s kapiert.«
    »Was ich sagen will, ist, wenn du erst einmal in den Abgrund blickst …«
    »Blickt der Abgrund auch in dich.«
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Es ist ein Klischee. Das weiß jeder.«
    Vorm machte ein finsteres Gesicht. »Verdammt. Und ich dachte, das hätte ich mir ausgedacht. Na ja, egal. Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig am Hals haben und nicht zurückkönnen. Ich, eine zeitlose, alles verschlingende Kraft und du, ein köstlich weicher Happen mit knusprigem Kalziumkern.«
    Sie entfernte sich ein paar Schritte weiter von ihm.
    »Was denn?«, sagte er. »Das ist ein Kompliment!«
    Sie zog Bilanz über ihre Lage: Sie war mit einem Grauen verbunden, das jenseits von Zeit und Raum stammte, und deswegen würde sie wahrscheinlich langsam, aber sicher verrückt werden.
    »Gehört das Apartment immer noch mir?«
    »Na klar«, sagte Vorm. »Nimm eins, und du bekommst das andere gratis dazu.«
    Wenigstens hatte das Ganze auch eine positive Seite.
    »Also, was meinst du?« Er streckte ihr die Hand hin. »Mitbewohner?«
    Sie bemerkte schnappende Kiefer im Fell von Vorms Handflächen, deshalb behielt sie die Hände in den Taschen und nickte nur.
    Sie gingen zu Wests Apartmenthaus des Grauens zurück. Sie riss sich zwar nicht darum, dort zu leben, aber sie konnte auch nirgendwo anders hin. Sie konnte sich an keinen ihrer Freunde wenden. Nicht, wenn ihr Vorm und sein endloser Appetit folgten.
    Das Gebäude sah seltsam aus. Sie war nach ihrer Flucht ohne einen Blick zurück davongelaufen, aber diesmal sah sie es mit ganz anderen Augen. Es war ein ausladender Turm mit merkwürdigen Winkeln, der
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