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Der Mond im See

Titel: Der Mond im See
Autoren: Danella Utta
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Aber sie ist schon lange fort. Nie mehr hat ihre Nonna von ihr gehört. Und sie war immer sehr traurig darüber.«
    »Die Großmutter von Signorina Maria?« Sieh da, hatten wir da vielleicht noch einen Mitwisser? »Wer ist sie?«
    »Sie ist sehr arm. Und ganz taub. Sie bekommt eine kleine Rente und wohnt in einem alten Steinhaus.«
    Ich konnte mit einem Seitenblick feststellen, wie er angewidert das Gesicht verzog. »Diese alten Häuser, sie stammen noch aus dem Mittelalter, sagt man. Immer ist es kalt und dunkel drin.«
    »Demnach wohnst du in einem besseren Haus?«
    »Mein Papa hat ein neues Haus für uns gebaut. Am Rande von Cemedo. Mein Papa ist bei der Bahn, verstehen Sie? Er ist nicht so ein armseliger Bergkratzer wie die dort oben.«
    Ja, die Bahn fuhr hinter in die Centovalli, das konnte ich sehen, nachdem wir die Maggia überquert hatten. Unsere Straße, voller Kurven, und manchmal steil am Abhang entlang, ging immer parallel mit der Bahn.
    »Wie kommt es, daß du so gut Deutsch sprichst?«
    »Oh, ich habe es gelernt. Immer schon. Meine Mama kommt aus dem Kanton Uri. Sie lebt nicht gern hier. Und sie sagt, daß ich auf jeden Fall fort soll. Ich gehe weiter in die Schule nach Locarno, wissen Sie.«
    Das letzte klang sehr stolz, und ich beeilte mich, ihm zu versichern: »Da bist du aber tüchtig.«
    »Ich will einmal studieren. Ich will lernen, wie man Häuser baut. Schöne, gesunde Häuser für alle Menschen. Und darum gehe ich weiter in die Schule.«
    »Und fährst du da jeden Abend nach Hause?«
    »Nein. Ich wohne bei meiner Schwester. Sie ist verheiratet in Locarno. Ihr Mann hat ein Gemüsegeschäft. Ich hole früh schon die Ware. Und nach der Schule verkaufe ich Zeitungen. Ich muß viel Geld verdienen und muß es sparen. Studieren ist teuer.«
    Ich dachte bei mir: Warte nur, Giuseppe. Wenn es uns gelingt, René zu finden, und er lebt – dann wirst du dir um dein Studium keine Sorgen mehr machen. Dann wird Jacques Thorez dir das beste und teuerste Studium der Welt bezahlen. Und du wirst all die Häuser bauen, die du bauen möchtest.
    »Wie weit ist es nach Cemedo?«
    »Eine Stunde etwa. Aber wenn wir so schnell weiterfahren, dauert es nicht so lange.«
    »Bleibt die Straße so?«
    »Unsere Straße ist gut«, sagte er stolz.
    Sie war gut. Aber sie beanspruchte meine ganze Aufmerksamkeit bei diesem Tempo. Ein Glück, daß ich am Tag zuvor den Wagen vollgetankt hatte.
    »Jetzt erzähl mir, was deine Mama gesehen hat. Und was du über die Signorina Maria noch weißt.«
    »Sie ist schon lange fort. Und auf einmal vor ein paar Wochen kam sie wieder. Keiner hat sie zunächst erkannt. So schön ist sie geworden. Und so feine Kleider hatte sie an. Und ihre Nonna war so glücklich. Maria ist wieder da, erzählte sie allen. Sie ist eine feine Dame geworden.«
    »Und dann?«
    »Dann fuhr sie wieder weg. Aber vor einer Woche ist sie wiedergekommen.«
    »Mit einem Jungen im Auto?«
    »Das sagte meine Mama. Sonst hat es keiner gesehen. Sie kam, als es noch dunkel war, ganz früh am Morgen. Keiner sollte sie sehen. Aber meine Mama war schon so zeitig auf, weil mein Papa Dienst hatte bei der Bahn. Und sie hat sie gesehen. Und sie hat zu meiner Schwester gesagt: Die Signorina Maria hat ein Kind. Das soll wohl keiner wissen.«
    »Und dann hat man das Kind nicht mehr gesehen?«
    »Nein. Der Mann von meiner Schwester sagt, die Mama hat das nur geträumt.«
    Es klang zu schön, um wahr zu sein. In diesen unwegsamen Schluchten des Tessins – wer hätte das Kind hier vermutet? Hier konnte man leicht jemanden verbergen. Und auch leicht jemanden verschwinden lassen.
    Unsere Straße führte über eine schwindelndhohe Brücke, durch Felslöcher hindurch, an tiefen Abgründen entlang.
    »Es macht Spaß, hier mit dem Auto zu fahren«, erklärte Giuseppe begeistert.
    Das konnte ich nicht finden. Aber ich sagte: »Später, wenn du ein großer Architekt geworden bist, wirst du hier auch mit dem Auto fahren.«
    »O nein«, sagte er bestimmt. »Hier nicht. Ich baue Papa und Mama ein Haus in Luzern. Da möchte meine Mama am liebsten hin.«
    Auch gut. »Wie weit ist es noch?«
    »Eine halbe Stunde vielleicht.«
    »Hörst du etwas hinter uns? Siehst du einen Wagen? Ich meine die Polizei.« Ich bildete mir ein, sie müßten mir schleunigst nachkommen.
    Aber Giuseppe sah und hörte niemanden, nur gelegentlich kam uns ein unternehmungslustiger Touristenwagen entgegen, oder wir versuchten einen zu überholen, was gar nicht so einfach
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