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Der Mond bricht durch die Wolken

Der Mond bricht durch die Wolken

Titel: Der Mond bricht durch die Wolken
Autoren: Edmund Crispin
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Für den ersten haben Sie gerade ein Beispiel gegeben, Major. Er besteht darin, die falsche Frage zu stellen.«
    »In welcher Beziehung war meine Frage falsch?«
    »Sie hätten fragen sollen: >Warum ist der Arm des Toten weggeschafft worden?<«
    »Nun, weil der Tote damit auf irgendeine Weise identifizierbar wurde, denke ich.«
    »J-ja. Das ist naheliegend.«
    »Wenn Sie mich fragen«, warf der Pfarrer ein, »ist das ganze Rätsel einfach dadurch entstanden, weil die Mediziner gestümpert haben. Der Arm ist gar nicht während des Festes abgetrennt worden, sondern viel früher.«
    »Nein, die medizinischen Feststellungen waren richtig«, sagte Fen. »Und das bringt uns zum zweiten und wichtigeren Chesterton-Effekt: Selbst wenn Sie die richtige Frage gewählt haben, ist die Antwort darauf ein Paradox. Also: >Warum ist der Arm des Toten abgetrennt worden?< Antwort: >Weil er keinen Arm hatte.<«
    Der Major glotzte sekundenlang nur. Dann sank er wie ein angestochener Ballon im Sessel stöhnend zusammen.
    »Amputiert«, lallte er.
    »Genau. Und zwar ziemlich frisch, sonst hätte sich das an der Schulter gezeigt und wäre kaum übersehen worden. Aber eine vergleichsweise frische Amputation – George war mit dem Arm übrigens in eine Winsch geraten und hatte ihn sich in Freedom Fields fast ganz abnehmen lassen müssen war viel leichter zu tarnen. Es mußte Klammerspuren in der Haut und Nahtmaterial in der Wunde geben, aber der Stumpf würde noch nicht endgültig geformt sein eher rund als spitz, die wichtigsten Nerven einfach durchtrennt, die Durchsägung des Knochens noch frisch. Um den Eindruck zu erwecken, als sei der ganze Arm eben erst abgehackt worden, brauchte nur ein Stück von ungefähr einer halben Zeigefingerlänge abgetrennt zu werden. Und die Bale-Schwestern würden gewiß nicht auf eine Ausbeulung so geringer Art achten; wenn sie ihnen überhaupt auffiel, würden sie einfach annehmen, Luckraft habe zuviel in eine seiner Taschen gestopft.
    Das war Widgers Problem, und als er auf die schlichte und einzige Antwort gestoßen war, brauchte er nur in den Krankenhäusern anzurufen und zu fragen, welche Armamputationen in der letzten Zeit vorgenommen worden seien und wie der Patient geheißen habe. Er brauchte eine Weile, um bis zu Freedom Fields und dem (ungewöhnlichen) Namen Luckraft zu kommen, aber am Ende war es soweit.«
     
     
    4
     
    Es blieb lange still, als Fen verstummt war. Der Wind hatte nachgelassen, der Regen prasselte aber stärker, und im Rinnstein vor dem Haus hörte man es schon gluckern und gurgeln. Der Tisch sah mit seinen beiden abgenagten Fasanenskeletten etwas friedhofsmäßig aus, aber der Wein war ausgetrunken und von den Pfirsichen in Brandy und dem Käse war nichts mehr zu sehen. Zwei dünne Gurkenscheiben klebten an der Salatschüssel, an deren Boden ein kleines Radieschen in einer winzigen Pfütze aus French Dressing saß. Vom Herd drangen das angenehme Geräusch und der Duft von brodelndem Kaffee herüber. Endlich ergriff der Pfarrer das Wort.
    »Hagberd«, sagte er.
    »Ist durchaus nicht glücklich«, erklärte Fen. »Berichtet mir jedenfalls Widger. Sie wissen nicht recht, was sie mit ihm machen sollen.«
    »Warum ist er nicht glücklich?«
    Fen erläuterte. Aus Angst vor einem Ausbruch von Büchern und Artikeln durch Ludovic Kennedy und Paul Foot hatten die Behörden sich, als die Nachricht aus Devon eintraf, beeilt, Hagberd von Rampton in ein weniger strafvollzieherisches, eher analeptischeres Institut zu verlegen. Aber wie so viele wohlgemeinte menschliche Bestrebungen hatte auch diese Veränderung den verdienten Erfolg nicht erzielt. Kurz gesagt, Hagberd verabscheute sein neues Ambiente und wollte wieder zurück nach Rampton, wo die Wärter richtige Wärter waren. Hier waren sie es nicht, sie waren langhaarige Weichlinge mit dicken Brillengläsern, die einem ein Kärtchen für den Arzt gaben, wenn man sich erbot, ihnen eins auf die Nase zu hauen, und der Arzt fragte nur, ob man seine Mama haßte. Außerdem durfte er dort nicht arbeiten nicht, was man Arbeit nennen konnte. Außerdem war man nicht damit einverstanden, daß er Hühner hielt. Das Ganze stank zum Himmel, und wenn das die Alternative sein sollte, wollte er lieber, daß sie ihn wie jeden anständigen Pferdedieb aufknüpften. »Ja, nun, man kann seinen Standpunkt verstehen«, sagte der Pfarrer interessiert. »Man wird ihn aber wohl bald freilassen.« (Man tat es; er arbeitete wieder für Clarence Tully und heiratete
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