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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition)
Autoren: Stella Gemmell
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einziges Abbild erschaffen. Einen Bruder.«
    » Rafael?«, fragte der alte Mann mit dem Stock. » Was ist aus ihm geworden?«
    Sie sagte es ihm. » Ein Abbild kann ohne seinen Schöpfer nicht existieren. Rafael wäre ohnehin gestorben, als Marcellus starb.«
    Plötzlich wurde Fell klar, dass er gar nicht schnell genug von diesem Ort verschwinden wollte, diesem Palast mit seinen bösartigen, unsterblichen Kreaturen, die inzestuös und nur um sich selbst kreisend die ganze Stadt mit ihrem giftigen Blut infiziert hatten. Er warf einen Blick zu Indaro, die bei Archanges Worten ihr Gesicht verzogen hatte. Wir werden von hier verschwinden, dachte er, und niemals zurückkehren.
    Archange verstummte und strich abwesend über den silbernen Schleier, der um ihren Hals hing.
    Zum ersten Mal ergriff Emly das Wort. » Mein Schleier«, sagte sie. Fell schien es, als klänge ihre Stimme krächzend, wie eingerostet und ungeübt. » Woher hast du ihn?«
    Archange schaute an sich herab. Die winzigen Tiere aus edlem Metall und Glas, die den Schleier zierten, glänzten im Licht der Sonne.
    » Er gehört mir«, beschied sie dem Mädchen. » Er hat schon immer mir gehört.«
    Sie ließ den Schleier von ihren Schultern gleiten und breitete ihn mit schwungvoller Geste vor ihnen auf dem Boden aus, sodass jeder den Reigen der Tiere betrachten konnte. Fell kauerte nieder, um ihn anzusehen. Er wirkte, als bestünde er aus Tausenden hauchzarten Silberfäden. In der Mitte des Schleiers saß ein gestickter Gulon, der den Schweif eng um seine Pfoten geschlungen hatte.
    » Er war jahrelang verschollen und sah reichlich mitgenommen aus«, erklärte Archange dem Mädchen. » Wie ist er dir in die Hände gefallen?«
    Emly senkte leicht den Kopf. Ihr war bewusst geworden, dass sie jetzt alle beobachteten. » Vater hat ihn bei einem Toten gefunden. In den Hallen.«
    » Er hat ihn bei einer Leiche mit einer Tätowierung auf dem Kopf gefunden?«
    Emly nickte.
    Archange zog die Augenbrauen hoch. » Dann hatte Bartellus ihn bei sich, als wir uns zum ersten Mal in der Halle der Wächter getroffen haben?«
    » Ja.«
    Die alte Frau lächelte bedauernd und schüttelte den Kopf. » Viele Tote wären noch am Leben, wenn ich das damals gewusst hätte«, sagte sie. » Er ist das kostbarste Kunstwerk dieser Welt. Und das älteste. Nur die ewigen Berge sind noch älter. Manchmal kommt es mir vor, als hätte dieser Schleier seinen eigenen Willen.«
    » Ist er magisch?«, fragte Emly.
    » So würdet ihr es wohl ausdrücken.« Seine Fäden gehörten einst zu einer Hülle, in der die Abbilder wie in einem Schmetterlingskokon das Licht der Welt erblickten. Doch der Kokon wurde zerstört, vollkommen zerfetzt. Wir brauchten sehr lange, bis wir einen Weg gefunden hatten, um ihn wiederherzustellen und die einzelnen Teile zu verweben. Richtig funktioniert hat der Schleier bisher zwar nicht, aber er wird es wieder tun.« Sie lächelte Emly an und legte ihr den Schleier um die Schultern. Wie auf ein Stichwort marschierten die Soldaten der Eintausend ein. Ihr schwarzbärtiger Anführer schaute sich unter den versammelten Kriegern um und ließ den Blick einen Moment lang auf Fell und Indaro verweilen. Dann sprach er leise mit Archange.
    » Ich muss mit meinen Beratern sprechen«, verkündete sie. » Es gibt viel zu bereden.«
    » Und was geschieht jetzt, Mylady?«, fragte Fell. » Wird die Cité kapitulieren?« Sie zögerte mit der Antwort. » Marcellus hat behauptet«, fuhr er fort, » der letzte Serafim würde vom Schild herunterreiten, um den Kampf fortzusetzen.«
    Sie zupfte wie eine verärgerte alte Dame an dem Schleier herum. » Frag mich nicht, Fell«, sagte sie sanft.
    Er machte keinen Hehl aus seinem Zorn. » Wir haben diese Schlacht geschlagen, um den Krieg zu beenden«, sagte er. » Und wir werden uns nicht um unseren Sieg betrügen lassen.«
    » Was glaubst du eigentlich, mit wem du sprichst?«, fuhr sie ihn an. Sie schien auf einmal größer geworden zu sein, und aus ihren schwarzen Augen loderte eine Macht, die ihn fast von den Füßen geholt hätte. Die Luft in dem Garten knisterte, als hätte ein Blitz eingeschlagen, und der Blick blendete ihn. » Wie kannst du es wagen, von Betrug zu reden! Ihr seid die Verräter und nur am Leben, weil es mir so gefällt.«
    Als er wieder sehen konnte, erkannte er, dass alle Rosen im Garten zu schwarzer Asche verkohlt waren. Ein kalter Wind fegte durch die weißen Säulen, und die Blumen zerfielen zu Staub. Er hörte, wie ein Kind
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