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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition)
Autoren: Stella Gemmell
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oben in der Decke. Es erhellte den Raum zwar nicht genug, um etwas erkennen zu können, aber es ließ die Staubflocken schimmern, als könne Elija sie mit der Hand fangen und ihr Licht festhalten für später, weiter unten in der Kanalisation, wo er sie vielleicht brauchen konnte.
    Seine Erinnerungen bestanden hauptsächlich aus Bildern einer weinenden Frau und eines brutalen Mannes, der ständig die Fäuste hob und dessen Gesicht rot angelaufen war. Dann war da die Zeit, in der er mit Emly allein war, ständig auf der Flucht von einem Versteck zum anderen und immer voller Angst. In seinen Träumen tauchte oft Blut auf, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte. Die Furcht lauerte am Rand seines Bewusstseins, aber er hatte keine Bilder davon; er war einfach nur froh, in Sicherheit zu sein.
    Rubin hatte ihnen den Strom erklärt. Es war ein kleiner Fluss, der hoch über der Stadt im Süden entsprang, in blauen Hügeln zwischen silbernen Bäumen unter einer ständig scheinenden Sonne. Dort nannte man ihn den Schaffluss. Viele Wegstunden vor der Stadt verschwand er unter der Erde und legte seine neue Verkleidung als Abwasserkanal an. Ziegen tauchten als Letzte ihre Füße hinein, bevor er für immer das Tageslicht hinter sich ließ.
    Es wurde jetzt heller. Elija hatte seine Schwester wahrgenommen, seit er wach geworden war, jetzt jedoch drehte er sich behutsam herum und sah ihren dunkelhaarigen Kopf über dem zusammengekauerten Leib.
    » Wach auf, Schlafmütze«, sagte er leise, ohne sie eigentlich wecken zu wollen. Sie brauchte mehr Schlaf als er. Sie rührte sich nicht, obwohl er die Geräusche der Kloaker hörte, die sich um sie herum für einen weiteren Tag in der Dunkelheit fertig machten. Sie wachten auf, tauschten gelegentlich Worte aus, und ab und zu schrie jemand oder verfluchte die Götter der Hallen.
    Elija stand auf und pinkelte in den Strom, der jetzt etwa mannshoch unter seinem Vorsprung vorbeifloss. Trittsicher ging er über den schmalen Vorsprung und hob den kleinen Beutel mit Habseligkeiten auf, der nachts zwischen ihm und Emly lag. Er setzte sich, machte ihn auf und nahm das kostbare Stück Saphirmoos heraus, das sie auf der anderen Seite des Gierwehrs gefunden hatten. Es roch immer noch frisch, und er riss ein Stück ab. Dann rieb er sich damit über das Gesicht und die Hände und genoss die flüchtige Süße. Rubin hatte ihm gesagt, dass man diesen Geruch Zitrone nannte. Er sollte es eigentlich auch an seinen Füßen verwenden, gegen die Fußfäule, die so viele Kloaker befiel. Aber sie hatten nur noch so wenig übrig, und er wollte es nicht für seine Füße verschwenden. Aber er würde dafür sorgen, dass Emly es benutzte.
    Nachdem er sich die Hände gesäubert hatte, wühlte er erneut in dem Beutel herum und fand schließlich die Streifen Trockenfleisch, die er vom Alten Hal gekauft hatte. Er kaute langsam und gründlich und ertrug dabei stoisch die vertrauten Bauchkrämpfe, bis sie allmählich nachließen.
    » Wach auf, Emly«, rief er erneut. » Zeit fürs Essen.«
    Er stieß sie sanft mit dem Fuß an und wusste, dass sie wach war, obwohl sie sich nicht rührte. Dann nahm er aus dem Sack, den er als Kissen benutzte, die Lumpen für seine Füße. Er wickelte sie sorgfältig um Knöchel und Absatz, wiederholte es, bis er zufrieden war, er achtete besonders auf die Knöchel, den Spann und die Zehen. In seiner Zeit in den Hallen hatte er viele Leute kennengelernt, die bereits tot waren. Und viele waren an Krankheiten gestorben, die an ihren Füßen begonnen hatten.
    Endlich rührte Emly sich, stand auf und absolvierte schlaftrunken ihre eigenen morgendlichen Rituale. Ihr Bruder sprach sie nicht an und richtete seinen Blick auf die fernen Wände und konzentrierte sich dabei auf die Bewegungen der anderen Kloaker, um ihre Privatsphäre zu achten.
    Es war jetzt so hell geworden, wie es überhaupt werden konnte. In der gewölbten Kuppel über ihm schwebte ein silberner Nebel, der niemals ganz verschwand, sich aber manchmal ausdünnte und in Wolkenfetzen durch die Luft trieb. Hunderte von Vorsprüngen säumten die gewölbten Wände. Die meisten befanden sich über dem Vorsprung von Elija, waren unerreichbar und nicht bewohnt. Die Kloaker nannten diesen Ort die Halle des Blauen Lichts. Elija und Emly nannten sie ihr Heim.
    Am Fuß dieser Kuppel strömten Flüsse durch drei Ziegelbogen und trafen sich in der Mitte in einem Mahlstrom aus Wasser. Sie flossen durch einen pechschwarzen Schlund zum
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