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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Autoren: Peter May
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gleichzeitig würde sie das attraktive, sympathische Gesicht seiner Kampagne sein. Erst bei dem Briefing am Vortag in seinem Hotel hatte sie sein beinhartes Kalkül voll durchschaut, sosehr er es auch mit aalglattem Charme zu kaschieren versuchte. Doch da hatte sie den Vertrag bereits unterzeichnet und kam aus der Sache nicht mehr heraus. Wenigstens, so tröstete sie sich, war sie nur die Überbringerin; auf die Botschaft selbst hatte sie keinen Einfluss.
    Genauso wenig wie auf den Verkehr. Verzweifelt schloss sie die Augen. Sie hatte es vermasselt, hätte das Taxi eine halbe Stunde früher bestellen sollen. Sie kramte ihr Handy aus der Tasche und drückte die Schnellwahltaste.
    «Hi, Kirsty, was gibt’s?»
    «Sylvie, ich hab ein Riesenproblem. Ich stecke auf dem Boulevard Tauler im Stau fest. Keine Chance, dass ich es rechtzeitig zum Palais des Congrès schaffe.»
    «Geht’s um den Job für den Italiener?»
    «Genau.»
    « Merde! Kann ich dir irgendwie helfen?»
    «Du könntest für mich einspringen.»
    «Kirsty, das geht nicht. Die haben mich nicht gebrieft.»
    «Bitte, Sylvie, von dir aus sind es nur fünf Minuten, und du hast erst heute Nachmittag Dienst. Halt einfach nur die Stellung, ich komme, so schnell ich kann.»
    * * *
    Erst nach halb zehn schwenkte das Taxi von der Avenue Herrenschmidt auf den Parkplatz des Konferenzzentrums ein, auf dem es von Pressefahrzeugen und Übertragungswagen wimmelte. Die Flaggen der siebenundzwanzig Mitgliedsstaaten hingen reglos im Licht des grauen Morgens. Dahinter auf dem Rasen zeichneten sich die Kurven einer höchst abstrakten Bronzeskulptur unter einer Schicht aus nassem Schnee ab. Während der Fahrer unter dem Schild mit der Aufschrift Strasbourg Événements anhielt, suchte sie in ihrer Handtasche nach Geld. Kaum ausgestiegen, hastete sie mit flatterndem Mantel und ohne Rücksicht auf Frisur und Make-up über das Pflaster zu der großen Glasfront.
    «Die Pressekonferenz! Wo findet die statt?», rief sie in der riesigen, strahlend hellen Eingangshalle, sodass alle Köpfe zu ihr herumfuhren.
    Eine junge Frau hinter der langen Empfangstheke blickte mit gleichgültiger Miene auf. «Tivoli eins, erster Stock.»
    Kirsty rannte über die wirren Bodenmuster aus hellem Marmor und hörte dabei das Klicken ihrer Absätze, das von Glas und Beton zurückgeworfen wurde. Hier und da unterbrachen kleine Gruppen ihren Smalltalk und sahen ihr neugierig hinterher. Durch geöffnete Türen fiel ihr Blick in einen Raum mit einer merkwürdigen Decke, die an aufgereihte Seidenkissen erinnerte. Dort baute ein Party-Service gerade das Buffet auf, während ein junger Mann die Bar vorbereitete. Wenn man wollte, dass die Presse kam, musste man sie füttern und tränken. Am Fuß einer Treppe überflog sie unter einem Schild mit der Aufschrift Erstes Obergeschoss die Liste der Namen: Salle Oberlin, Salle Schuman, Salle Schweitzer C–D. Und endlich: Salles Tivoli 1–2 .
    Sie nahm zwei Stufen auf einmal und gelangte in ein breites, mit Teppich ausgelegtes Vestibül, dessen eine Wand aus raumhohen Fenstern bestand. Der Teppich schluckte das Geräusch ihrer Schritte, sodass sie in dem hohen Raum nur ihren eigenen, keuchenden Atem hörte. Zu ihrer Linken hing ein auffälliger Wandteppich, auf dem Zauberer und Hexen zu sehen waren, und auf einem Schild über einer Tür stand Salle Oberlin . Hoch über ihr weitere Seidenkissen. Sie eilte an einer Glasbalustrade vorbei, durch die man auf ein endloses Labyrinth von Garderobenständern blickte. Ein dreieckiger Deckenwegweiser bestätigte ihr, dass sie immer noch auf dem richtigen Weg zu «Tivoli 1» war. Eine Treppe hinauf, durch eine offene Glastür, und sie hörte aus einem Raum vor sich die Stimme des Italieners. Dann Sylvies klare, kompetente Übersetzung auf Englisch und anschließend Französisch. Der Konferenzsaal war voll. An der Rückwand reihten sich Kameras aneinander, und Scheinwerfer tauchten den Raum in helles Licht. Sylvie saß zur Rechten des Italieners an einem Tisch auf dem Podium, hinter ihnen eine Leinwand, auf die eine Powerpoint-Präsentation mit Umsatzdaten projiziert wurde.
    Kirsty drängte sich an den Menschen am Eingang vorbei. Der Hitzeschwall traf sie, bevor die Druckwelle der Explosion sie zu Boden warf. Geblendet von dem grellen Lichtblitz und taub von dem berstenden Knall schien es ihr eine Ewigkeit, bis sie wieder etwas sehen und hören konnte. Um sie herum waberte dichter Rauch, es herrschte Chaos. Schreie, Zurufe, Weinen.
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