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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Autoren: Peter May
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monotonen Klingelton an seinem Ohr folgte die Stimme eines Mannes. «Ja, hallo?»
    « Salut. Ich bin’s.»
    «Ach so, ja.» Der Mann wirkte angespannt.
    Yves war cool; er sprach mit der lässigen Überlegenheit eines Soldaten, der einen unbewaffneten Mann mit einem Maschinengewehr durchsiebt. «Tut mir leid, dass ich nicht gestern angerufen habe. Ich war im Ausland.» Er hätte nicht sagen können, wieso er das Bedürfnis hatte, sein Versäumnis zu erklären. Vielleicht nur, weil es lockerer, verbindlicher klang. «Portsmouth. In England. Geschäftlich.»
    «Und was hat das mit mir zu tun?» Die Stimme des Mannes klang jetzt deutlich gereizt.
    «Dachte nur, du wunderst dich vielleicht, wieso ich mich nicht gemeldet habe.»
    «Das haben Sie ja nun.»
    «Ich wollte morgen Nachmittag vorschlagen. Drei Uhr. Wenn du da kannst.»
    «Und wo?»
    «Bei dir.»
    Er registrierte, wie der andere zögerte. «Ihnen ist schon klar, dass ich einen neutralen Treffpunkt vorziehe?»
    «Hör zu, mein Freund, wir müssen reden.» Falls in dem Wort ‹Freund› eine Drohung mitschwang, schien es der Mann am anderen Ende nicht zu merken. Er seufzte nur.
    «Sie wissen, wo Sie mich finden?»
    «Selbstverständlich.»
    «Dann also um drei.»
    «Gut.»
    Yves zog die Antenne seines Mobiltelefons ein und sah, dass der Verkehr immer noch stillstand.
    * * *
    Lamberts Wohnung befand sich im zweiten Stock eines frisch renovierten Gebäudes im dreizehnten Arrondissement. Ein neu installiertes elektronisches Einlasssystem sollte den Concierge ersetzen und Kosten sparen. Folglich würde außer Lambert niemand etwas von seiner Ankunft mitbekommen. Und niemand, nicht einmal Lambert, würde wissen, wann er das Haus wieder verließ.
    «Ja?» Aus der Sprechanlage an der Wand drang scheppernd Lamberts Stimme.
    «Ich bin’s.» Wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, nannte Yves nie seinen Namen.
    Der Summer ertönte, und er öffnete die Tür.
    Lambert erwartete ihn oben im Flur. Hinter ihm stand die Tür zu seiner Wohnung sperrangelweit offen. Yves sah sich einem schmächtigen jungen Mann gegenüber, der ein ungewöhnlich blasses Gesicht und dunkelbraune Locken hatte. Durch die tiefen Schatten unter den dunklen Augen wirkte das schmale Gesicht gespenstisch hager. Er reichte Yves die knochige Hand zu einem kurzen Gruß. «Kommen Sie rein.» Rasch warf er einen prüfenden Blick die Treppe hinunter, als fürchtete er, dass sie jemand beobachtete.
    Die Erkerfenster im Wohnzimmer gingen auf den Park hinaus und bestätigten Yves’ Vermutung, dass dieser Raum von draußen uneinsehbar war. Das durchgesessene Sofa und die fadenscheinigen Sessel hatten schon bessere Tage gesehen und versteckten ihren schäbigen Zustand unter bunten Fransenüberwürfen. Durch die geöffnete Küchentür schlug Yves der Geruch von altem Knoblauch und aufgebrühtem Kaffee entgegen, der sich in der übrigen Wohnung mit dem Gestank von kaltem Zigarettenrauch mischte. Yves kratzte es im Hals, und als Lambert eine Zigarette herauszog, sagte er: «Nicht.»
    Lambert stockte und hielt die Zigarette reglos auf halbem Wege zwischen Packung und Mund, während er seinen Besucher argwöhnisch beäugte. Schließlich steckte er die Zigarette widerstrebend in die Schachtel zurück. «Kaffee?»
    «Ja, gern.»
    Lambert verschwand in der Küche. Yves hockte sich auf den Rand des Sofas und starrte auf die Staubkörnchen, die in den Strahlen der schräg durchs Fenster einfallenden Wintersonne reglos in der Luft zu schweben schienen. Er hörte seinen eigenen Atem, der seltsam angestrengt ging. Seine blauen Augen fühlten sich trocken an, dann begannen sie zu tränen. Er war angespannt.
    Kurz darauf kam Lambert mit schwarzem Kaffee in kleinen Tassen zurück und stellte sie auf den Tisch. Yves beugte sich vor, gab einen Zuckerwürfel in seine Tasse und zerstieß ihn mit einem Teelöffel, bis er sich aufgelöst hatte.
    «Wollen Sie nicht den Mantel ablegen?» Lambert nahm ihm gegenüber im Sessel Platz und ließ seinen Besucher nicht aus den Augen, während er die Tasse an die Lippen führte.
    «Ich bleibe nicht lange.»
    Lamberts Blick fiel auf die Handschuhe. «Aber die brauchen Sie hier drinnen sicher nicht?»
    «Ich habe so eine Art Schuppenflechte», antwortete Yves. «An den Händen. Wenn ich einen Schub bekomme, muss ich sie eincremen. Ich behalte die Handschuhe an, um sie zu schützen.» Er nahm einen Schluck Kaffee. Das Getränk schmeckte unangenehm bitter, und er bereute es, nicht dankend abgelehnt zu
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