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Der Modigliani Skandal

Der Modigliani Skandal

Titel: Der Modigliani Skandal
Autoren: Ken Follett
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Straße, in der es sich befand.
    Sie nippte an ihrem vin ordinaire, noch nicht ganz sicher, an wen sie ihre Zeilen richten sollte. Eigentlich hätte sie ihre Familie über das Prüfungsergebnis ins Bild setzen müssen. Ihre Mutter würde sich auf ihre ein wenig zerstreute Art erfreut zeigen; in Wirklichkeit wünschte sie sich ihre Tochter als Mitglied jener sterbenden Gesellschaft von Ballbesuchern und Dressurreitern. Den Triumph einer Einser-Benotung würde sie nicht wirklich zu schätzen wissen. Wer aber sonst?
    Plötzlich begriff sie, wer sich am meisten für sie freuen würde.
    Sie schrieb:
Lieber Onkel Charles, glaub's oder glaub's nicht, ich habe eine Eins bekommen!! Noch unglaublicher ist, daß ich jetzt einem verlorenen Modigliani auf der Spur bin!!!
    Liebe Grüße D.
    Sie kaufte eine Briefmarke für die Postkarte und warf sie auf dem Rückweg zu Mikes Appartement in einen Briefkasten.

2
    Aller Glanz scheint aus dem Leben entschwunden, dachte Charles Lampeth, während er es sich auf dem Queen-Anne-Stuhl bequem machte. In diesem Haus, dem Haus seines Freundes, hatten einmal Partys und Bälle stattgefunden, wie man sie heutzutage nur noch in teuren historischen Filmen sah. Wenigstens zwei Premierminister hatten in diesem Raum mit der langen Eichentafel und den stilgemäß getäfelten Wänden diniert. Aber der Raum, das Haus wie auch Lord Cardwell, der Besitzer, gehörten praktisch gleichermaßen einer vergangenen Zeit an.
    Lampeth entnahm dem Kistchen, das ihm der Butler darbot, eine Zigarre und ließ sich von dem Bediensteten Feuer geben. Ein Schluck Brandy - von einem bemerkenswert alten Jahrgang - komplettierte sein Wohlbefinden. Das Essen war hervorragend gewesen, die Ehefrauen der beiden Herren hatten sich alter Tradition gemäß zurückgezogen, nunmehr konnte man sich einem Gespräch überlassen.
    Der Butler entzündete Lord Cardwells Zigarre und entfernte sich. Eine Weile schmauchten die beiden Männer zufrieden vor sich hin. Sie waren schon so lange miteinander befreundet, daß einem Schweigen zwischen ihnen nichts Peinliches anhaftete. Schließlich war es Cardwell, der sprach.
    »Was macht der Kunstmarkt?« fragte er.
    Lampeth lächelte zufrieden. »Da herrscht Hochkonjunktur wie seit Jahr und Tag.«
    »Ich habe die wirtschaftliche Seite des Kunstmarkts nie begriffen«, sagte Cardwell. »Wie erklärt sich der Boom?«
    »Das ist eine komplexe Angelegenheit, wie sich denken läßt«, erwiderte Lampeth. »Angefangen hat's wohl damit, daß die Amerikaner unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg kunst-bewußt wurden. Es war der Mechanismus von Angebot und Nachfrage: Die Preise für die alten Meister gingen raketengleich in die Höhe. Und da es nicht genügend alte Meister gab, um den Bedarf zu decken, richteten die Leute ihr Interesse auf die Modernen.«
    Cardwell unterbrach ihn: »Und genau zu diesem Zeitpunkt bist du eingestiegen.«
    Lampeth nickte und nippte genießerisch an seinem Brandy. »Als ich unmittelbar nach dem Krieg meine erste Galerie eröffnete, hatte man die größte Mühe, irgendein Bild zu verkaufen, das nach 1900 gemalt worden war. Aber wir waren hartnäckig. Ein paar Leute mochten die Bilder, allmählich stiegen die Preise, und dann traten die Investoren in Aktion. Prompt kletterten die Impressionisten himmelhoch.«
    »Ein Haufen Leute hat dabei eine Menge Geld gemacht«, warf Cardwell ein.
    »Weniger als man glaubt«, sagte Lampeth. Er schob eine Hand unter sein Doppelkinn, um seine Fliege zu lockern. »Es ist ähnlich wie bei Pferdewetten. Setzt man auf einen fast sicheren Sieger, so stellt sich heraus, daß das auch fast alle anderen getan haben, also springt kaum etwas dabei heraus. Und will man an einem zukunftsträchtigen Vollblüter einen hochkarätigen Anteil erwerben, so muß man dafür soviel auf den Tisch blättern, daß man bei einem Verkauf nur einen geringen Profit macht.
    Ähnlich verhält es sich mit Gemälden: Kaufe einen Velasquez, und du wirst garantiert einen Gewinn erzielen. Allerdings ist die Kaufsumme so hoch, daß du mehrere Jahre warten mußt, um einen fünfzigprozentigen Profit zu machen. Die einzigen Leute, die dabei ein Vermögen gewonnen haben, sind jene, die sich die Bilder aus reiner Liebhaberei gekauft hatten und ihren guten Geschmack bestätigt sahen, als der Wert ihrer Sammlungen raketenhaft in die Höhe schnellte. Leute wie du selbst.«
    Cardwell nickte, und die wenigen weißen Haarsträhnen auf seinem Kopf bewegten sich leicht. Er zog sich am Ende seiner
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