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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann
Autoren: Heinz Sobota
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greller Sonnentag ist geschehen, noch sind die Schattenkanten hart. Ich rauche. Der Qualm hängt wie Dampf im Licht, einen Schritt von mir. Meine Hand liegt locker um das Glas, die Stuhllehne. Vierzehn Jahre ist es her, seit ich hier war. Ich schaue zur Sandsteinkaserne hinüber. Von den gelben Mauern blättert der Verputz. Alles ist schäbig. Die Legion ist nach Aubagne umgezogen, nur ein Detachement ist noch in Marseille stationiert. Eine Legion im Frieden ist sinnwidrig. Aus dem Bistro schaue ich dann in die ersten Lampen und warte auf die Nacht. Ich bin allein hier mit dem Auto und meiner Pistole. Ich schlendere am Vieux Port, kein Morgen, keine Erinnerung, frühere Leben hängen nicht mehr an mir. Ein junges Mädchen streift mich. Ein helles Gesicht, die Augen glatt wie Kiesel, plötzlich bin ich alt in dem Gewühl der Leiber und Gerüche.
    Ein Mann sitzt am Kairand. Er hat die Schuhe ausgezogen. Seine Füße sind rot. Er spuckt ins Wasser, wendet ohne Eile den Kopf, dann spuckt er wieder. Der Himmel im Westen ist blutig, die Sonne fort. Ich kreuze die Straße, gehe der Canabiere zu. Gleich links in einer schmalen Seitengasse, gegenüber der Börse, liegt das Hotel Geneve. Seit zwei Tagen wohne ich da. Gestern, gegen zehn Uhr abends, verließ ich das Hotel.
    »Geben Sie acht, Monsieur, jeden Tag zehn Raubüberfälle in dieser Gegend«, sagt der glattgesichtige Mann mit den tiefliegenden Augen hinter der Rezeption zu mir. Ich nicke ihm zu. Er schließt müdgesichtig die Türe sorgfältig hinter mir.
    Ich gehe bis zum Boulevard Dugommier. Im Cafe an der Ecke angle ich mir einen Stuhl, sitze mit dem Gesicht der Straße zu. Ein Schwall Menschen treibt vorbei. Scharf, langanhaltend perlt ein Lachen an mein Ohr. Zähne blitzen aus einem braunen Gesicht. Schwarzes Haar weht um ihre Schultern wie eine Fahne. Weich und biegsam gleitet sie in einen Stuhl mir gegenüber. Der Mann, mit ihr, ist farblos, schlaff. Brüste stechen spitz durch eine dünne Bluse. Unter dem glockigen Rock schmale, braune Beine, sattschwarze Augen streifen mich flüchtig, wandern im Rund, kehren dann zu mir zurück. Glänzende Fragen, Antworten schon; oder das Gewohnte, das Nichts? Ich trinke Calvados. Sie schweigt. Der Mann spricht drängend auf sie ein. Sie schüttelt den Kopf, mit schmalen Augen. Ein roter Neonkreis blinkt über den Köpfen der Gehenden. Er färbt die Abendschatten der anderen Straßenseite dichter. Ich sehe zu der Frau. Am Kopf des Mannes vorbei blickt sie zu mir. Sie trinkt Gelbfarbiges. Ihre Hände flattern über dem Glas. Die Bewegung des Adamsapfels, kaum merkbar am schmalen Hals. Mein Mund ist trocken. Aufstehen, ihre Kehle küssen.
     
    Der Mann wendet sich um. Sein Gesicht verzieht sich. Farblose Augen in einem verwischten Gesicht. Seine Schultern zucken. Er ruft den Kellner, bezahlt, geht mit der Frau. Sie nickt in mein Lächeln. Die Stadt ist nicht mehr fremd. Sie gehen, verschwinden in bleichen Lichtzungen.
    Das Nicken – Anzahlung auf einen Abend. Vielleicht, egal, den nächsten Schnaps trinke ich doppelt. Er ist bitter auf der Zunge. Der Calvados unterspült meine Aufmerksamkeit. Ein flockiger Nebel umhüllt mein Gehirn. Ich bezahle, gehe. Nichts lockt mein Interesse. Wieder am alten Hafen, schweigt mir das Meer entgegen. Der Kai ist nahezu leer. Die Bars in ununterbrochener Kette beiderseits der Bucht werfen grüne, rote und blaue Lichtlanzen ins Wasser. Linien vermengen sich mit der Fläche zu einem unifarbenen Brei.
    Ich gehe in die Dunkelheit des Quartiers rechts am Hafen. Trübe Cafes kleben aneinander, schmierige Figuren lehnen an den Ecken, flüstern. Aus einem der rotdunklen Lokale ruft mir ein Mädchen nach. Ich gehe weiter, ohne zu reagieren. Tiefer, hinein in die schmalen, düsteren Gassen. Im Cafe Opera sitzt eine Gruppe Huren und lärmt. An der Theke bestelle ich einen Calvados. Eines der Mädchen kommt vom Tisch an die Bar. Ich achte kaum darauf, was sie sagt, dann greift sie meinen Arm. Im Spiegel betrachte ich sie. Langes, gelbes Haar fließt um harte Linien. Schwarze Brauenstriche, der Mund, blutrot unter der stumpfen, leichtsinnigen Nase. Breite Brüste, ein runder, hoher Arsch, kurze, schmale Beine. Sie ist klein, trotz hoher Plateausohlen. Das Licht, grell und gleißend, zeichnet böse Linien und Schatten in Gesichter und Umgebung. Ich lege den Arm um ihre Schultern, ziehe sie für einen Moment an mich.
    »Ich kann nicht mehr, verstehst du? Mir haben sie den Schwanz weggeschossen«, sage ich.
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