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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel
Autoren: Thomas Raab
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auf Anhieb sehr heimelig wirkende, wohlduftende Wohnung betreten. Aus einer geöffneten Tür, die den herausklingenden Geräuschen nach zu urteilen in die Küche führt, strahlt Licht in ein mit hellem Parkettboden belegtes Vorzimmer. Der Metzger erkennteine Vielzahl fein säuberlich zusammengestellter Schuhe, viele an den Wänden hängende Bilder mit lachenden Gesichtern und viele geschlossene Türen mit entsprechenden, ebenso aus Ton gebrannten Namenszügen.
    »Und jetzt? Bekomm ich jetzt was zu trinken, eine Mitternachtsjause, eine Pflegeanleitung für den Baum?«, meint er sarkastisch, der Willibald, ohne dabei natürlich an den Hochprozentigen zu denken, den er gleich brauchen wird.
    »Schuhe ausziehen!«, ist abermals die Antwort.
    Oskar geht durch den Vorraum, lässt das mit »Oskar« beschriftete Zimmer links liegen und bleibt vor der Küche stehen.
    Es sind ruhelose Augen, die dem Metzger entgegenblicken: »Deshalb bist du hier!«
    Dann öffnet er die Tür.

63
    E R IST SCHON UNTERWEGS , hat trotz eines seltsamen Gefühls im Bauch seine Vorbereitungsarbeiten hinsichtlich Sophie Widhalm abgebrochen. Auf seiner üblichen Route fährt er gemächlich dahin, vorbei an den Prostituierten, die wie Bauchladenverkäufer auf einem Jahrmarkt die Straße säumen. Erfüllt von einer Gewissheit der Stärke, mustert er ihre Gesten, ihre Statur, denn eines weiß er mit Sicherheit: Jede von ihnen könnte er ausstechen, mit Leichtigkeit in jene Rolle schlüpfen, die ihm der Himmel aus einer rein sadistischen Laune heraus, sozusagen als Beigabeder Hölle, auf den Leib geschrieben hat. Ein Knabe, der vor aller Augen erst dann glaubhaft sein Geschlecht bestätigen kann, wenn er vollständig seine Hosen herunterlässt, wenn er seine Geburtsurkunde vorlegt oder wenn der Stimmbruch und der erste Flaum zu ihren verspäteten, vagen Versuchen ansetzen, hat an sich schon schwer zu tragen, in seinem Fall aber war es unerträglich. So lange, bis ihm klar wurde, dass genau in dieser Laune der Natur die ihm geschenkte Freiheit steckt. Äußerlich nämlich kann er beides sein, der Bruder und die Schwester, Mann und Frau. Und beides ist er überzeugend. So hat sich am Ende seine Physiognomie zur Erfüllung seiner Mission als Gnade erwiesen.
    Die Ampel zeigt Rot. Eine der Prostituierten kommt zum Seitenfenster, klopft lächelnd an die Scheibe, nett sieht sie aus und freundlich, keiner würde ihr untertags ihre Profession ansehen. Und genau darum geht es. Je überzeugter man durchs Leben läuft und seine Handlungen vertritt, desto eher sind die anderen von der Richtigkeit dieses Handelns überzeugt.
    An dieser Stelle seiner Gedanken muss er sich erstmals bremsen, plötzlich ist es wieder da, dieses mulmige Gefühl in der Magengegend, plötzlich weiß er, was an der Nachricht auf seiner Mailbox so irritierend ist: der auffällig bestimmende und amtliche Tonfall. Er kann sich nicht erinnern, jemals die ansonsten kraftlose Stimme Gerhard Koglers mit derart überzeugenden Worten sprechen gehört zu haben, was bedeuten könnte: Hier läuft ein Schauspiel. Die Frage ist nur, wer soll damit unterhalten werden? Er?
    Langsam fährt er weiter, dann kommt der Beweis. Ein Läuten auf seinem Mobiltelefon. Noch nie zuvor ist er vondieser automatisierten Nummer angerufen worden, außer im Zuge des gelegentlich durchgeführten Probealarms. Diesmal ist es kein Test, diesmal nicht er selbst der Auslöser, diesmal hat sich jemand anderer Zutritt verschafft zu den an seine Wohnung angrenzenden Räumlichkeiten.
    Umgehend macht er kehrt, und wäre der Wagen einige Autolängen hinter ihm nicht derart abrupt stehen geblieben, er hätte ihn gar nicht bemerkt. Es ist etwas schiefgelaufen, das steht nun fest. Nur was? Wo liegt die Ursache dieses Fehlers? Wo wurde außerhalb seiner Aufmerksamkeit eine Lunte gezündet, die nun ihr Ende erreicht?
    Es war alles perfekt: nur nicht das Unvorhersehbare. Mühsam hat er jahrelang ein Spinnennetz gewoben, in dem alle sich verfangen sollten ohne den Hauch einer Chance. Hat er sie tatsächlich übersehen, die Fäden, die das Leben wie eine Baldachinspinne durch die Lüfte schickt, die sich, ganz dem Zufall überlassen, wie verloren gegangene silbergraue Haarteile in Wiesen, Sträuchern, vorbeigehenden Menschen verfangen? Hat er übersehen, wie sie längst an ihm haften und ihn gefangen nehmen? Wie ein Hohn erscheint es ihm: Er kennt jeden einzelnen Faden seines Netzes, doch von denen, die ihn nun selbst gefangen nehmen, weiß er
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