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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel
Autoren: Thomas Raab
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nichts. Nicht, wo sie herkommen, nicht, wie sie ihn finden konnten, nicht, wie sie aussehen.
    Eine dröhnende Leere nimmt ihn in Besitz. Soll alles vergeblich gewesen sein? Was bleibt dann übrig an Sinn? Nicht davonzulaufen, sondern sich den Dingen zu stellen, das war sein Plan, und genau dieser Vorsatz ist alles, was ihm jetzt bleibt. Er kann es spüren: Er ist wieder zurück an seinem Platz. Der Dritte, der aus zweien den einen zu viel macht. Es gibt die Guten und die Bösen, und es gibt ihn. Keiner wird ihn jemals verstehen können. Langsam fährter zurück, von nun an hat er Zeit. Das Stiegenhaus ist still, hallend klingt sein heftiger Atem nach, dann steht er vor seiner Wohnungstür. Wie erwartet ist bereits geöffnet.
    Sie sind hier.
    Jetzt hat es also begonnen, das zweite Ende, und es sieht anders aus als erwartet.

    Irene Moritz weiß nicht, wohin. Die Spurensicherung ist weg und die Truppe im Anmarsch. Sie beschließt zu warten, auf dem Sofa der offiziellen Wohnung, Hand in Hand mit einem ihrer Mädchen.
    Ihre Hände sind feucht, ihr Puls geht schnell. Das Böse, das diesen Raum erfüllt, drückt auf ihre Schultern, und dennoch trägt sie eine tiefe, sonderbare Stille in sich. Soll sie darauf hoffen, dass alle rechtzeitig hier sind, oder soll sie hoffen, dass nur er allein kommt?
    Allein.
    Allein mit ihr.
    Allein mit seinem Ende.
    Hellhörig starrt sie ins Dunkel, dann kann sie ihn spüren. Er ist angekommen. Aus dem Vorzimmer dringt ein tiefer Atemzug zu ihr, ruhig und präsent klingt seine Stimme: »Ich kann dich riechen, dein Parfüm, deinen Schweiß. Kann es sein, dass du allein hier bist? Bist du tatsächlich so hochmütig, das völlig allein durchziehen zu wollen?«
    Kurz bleibt ihr das Herz stehen. Unterhalb des Sofas huschen zwei Katzen hervor und zwängen sich durch den Türspalt hinaus zu ihrem Herrn. Mit sanften Worten werden sie begrüßt, ein liebevolles »Lebt wohl!« ist zu hören, dann kurz hintereinander jeweils ein dumpfer Knall. Er benutzt einen Schalldämpfer, und er ist gekommen,um sich zu verabschieden. Langsam öffnet sich die Tür ins Wohnzimmer.
    »Kein Licht!«, befiehlt Irene Moritz. »Gewöhn dich an das Dunkel!«
    Ein unheimlicher Flüsterton liegt in seiner Stimme: »Gewöhnen? Die Dunkelheit ist mein Licht.«
    Mit einer seltsamen Gelassenheit hört Irene Moritz seine Worte, ruhig liegt die Waffe in ihrem Schoß, sie weiß, um wie viel sie schneller ist als er.
    »Trotzdem fleh ich dich an um Erleuchtung. Ich will nur eines wissen: wieso ihr mich finden konntet?«
    Die Freude macht sie ihm: »Zum Beispiel durch das nicht von dir retuschierte Standbild aus Philipps Film und durch das, ich nehme einmal an, von dir gezeichnete Tagebuch! Stell dir das vor, da beschmierst du Am Mühlengrund 1 vor einer halben Ewigkeit eine Schrankwand, malst Gräber und schaufelst dir dabei, ohne es zu wissen, dein eigenes. Ist das nicht wunderbar! Und jetzt«, kalt ist ihr Blick, sie hält dem seinen, der sich deutlich aus der Dunkelheit abhebt, stand, »bevor ich dich zum Teufel schicke, sag mir noch, wo sie ist. Was hast du mit ihr gemacht?«
    Es ist eine leichte Irritation, die sich in seinem Gesicht abzeichnet. Er kann ihre Frage nicht verstehen. Nur noch schwer findet er Halt auf seinen Beinen. Dieses Dasein hat nichts übrig für ihn, es war von Anfang an mit der Botschaft versehen: Du bist ein Missverständnis. Nicht einmal der Segen der Rache ist ihm gegönnt. Nun weiß er, was zu tun ist: Er muss Vergeltung üben an diesem Dasein.
    »Fahr zur Hölle!«, stößt er heraus.
    Und noch nie hat Irene Moritz solche Worte in so resigniertem Tonfall ausgesprochen gehört.
    »Wo ist sie, wo verdammt noch mal ist Sophie Widhalm. Sag es!«, brüllt sie ihm unbeirrt entgegen.
    Längst hat sich sein Arm mit der Waffe in der Hand in Bewegung gesetzt.

64
    U ND JETZT IST ES VORBEI . Aus und vorbei mit jeder Zurückhaltung. Als wäre ein Loch in den Boden eines vollen Troges geschlagen worden, strömen aus seinem Inneren all der Schmerz und die Anspannung der letzten Tage heraus. Hier inmitten einer fremden Küche beginnt er vor aller Augen lauthals zu weinen, der Metzger, fest in den Arm geschlossen. Und dieses Vor-aller-Augen bekommt nun insofern zusätzlich Bedeutung, als sich zu den bereits drei in der Küche anwesenden Personen auch noch all jene dazumischen, die ohne diese Geräuschkulisse wahrscheinlich durchgeschlafen hätten.
    Andrea, Roswitha, Markus und Jochen stehen verdutzt auf dem Gang,
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