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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel
Autoren: Thomas Raab
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schnell verdrückte Grammelschmalzbrot könnte einem Magen zwar tatsächlich zusetzen, der Metzger kämpft jedoch an einer anderen Front: Reichlich aufgetragene Duftwässerchen, kombiniert mit dem nun eifrig zum Auftritt des Dirigenten applaudierenden Publikum, das kann schon was. Genauso wie das Orchester. Hierzulande soll es kein besseres geben.
    Der Dirigent holt aus, einsam beginnt ein Fagott, und erst nach und nach schmeicheln sich auch die übrigenInstrumente dem Zuhörer ins Ohr. Wobei natürlich unter schmeicheln jeder etwas anderes versteht.
    Volltönend setzt abermals die Stimme Eduard Pospischills ein: »Stimmen die schon wieder, oder willst du mir erklären, dass das jetzt nach Noten geht? Da setz ich mich aber heut noch zum Wirten und mal Kugerln auf ein paar Bierdeckeln.«
    In der hinteren Reihe knirscht ein Holzsessel, es folgen ein dezentes Klopfen auf die Schulter des Restaurators und ein zischendes: »Meine Herren, Sie wissen aber schon, warum wir Zuhörer heißen?«
    Dass dieser Kulturgenuss peinlich ausfallen könnte, hat Willibald Adrian Metzger schon beim Erhalt seiner Einladung befürchtet. »Metzger, stell dir vor«, wurde ihm da von Eduard Pospischill am anderen Ende der Leitung erklärt. »Da hab ich mein Lebtag noch nie etwas gewonnen, dann wird gestern am Polizeifest bei der Tombola meine Nummer gezogen, ich freu mich wie ein Hutschpferd, bekomm zwei Konzertkarten, und der einzige Kommentar meiner Göttergattin ist: ›Schad ums Geld für die Lose!‹ Was mach ich jetzt? So etwas lässt man doch nicht einfach verfallen, oder? Sag, willst du mich nicht begleiten? Mir fällt sonst keiner ein. Außerdem, bei so etwas war ich noch nie!«
    Das hat er ihm sofort geglaubt, der Metzger, auch dass dem Pospischill da kein anderer mehr eingefallen ist, denn erstens sind die Freunde des Kommissars so spärlich gesät wie die Frauenrechte in Dubai, und zweitens ist Igor Strawinskys »Le Sacre du printemps« alles andere als leichte Kost.
    Die Instrumentalisten leisten Schwerstarbeit. Ein Donnern dröhnt durch den Konzertsaal, ein Stürmenund Beben, dann kommen die Pauken. Kraftvoll, eins, zwei, als ginge es darum, eine Galeere vorwärtszutreiben, hinein in die Phalanx der gegnerischen Flotte. Die kleinste Unsicherheit wäre fatal. Fasziniert beobachtet Willibald Adrian Metzger die Präzisionsarbeit eines der beiden betreffenden Orchestermitglieder. Deutlich unterscheidet es sich von seinen Kollegen: Es trägt keinen Anzug.
    Ein körperbetont geschnittenes schwarzes Kostüm schmiegt sich um die zierliche Figur der Schwarzhaarigen. Unweigerlich sieht sich der Metzger in den Reihen der Instrumentalisten nach weiteren Damen um und erkennt relativ rasch: Da gibt es leichtere Übungen. Erst inmitten der Celli stört eine Perlenhalskette samt dazugehörigem zierlichen Nacken das ansonsten so harmonische Bild zugeknöpfter weißer Hemden unter silbergrauen Krawatten und schwarzen Anzügen. Das war’s dann aber schon. Zwei Frauen sind es also, die sich auf diesen fremden Planeten verirrt haben, als wären sie ungeladene Gäste einer Sitzung der FIFA, UEFA oder FIS – was den Metzger nicht weiter wundert. Nur weil es an diversen Musikuniversitäten seit Jahrzehnten von Studentinnen nur so wimmelt, heißt das ja noch lange nicht, dass sich das beste Orchester des Landes gleich von seiner mittelalterlichen Tradition verabschieden muss. So blickdicht die Vorhänge beim Bewerbungsvorspielen für frei gewordene Streicherposten auch sein mögen, die alteingesessene, durchwegs männliche Jury registriert schon rechtzeitig, wenn ihrer Herrenrunde da ein Weibchen mit dem Bogen in der Hand einen Strich durch die Quote machen will. Völlig synchron schießen also eine Horde maskuliner Bögen energisch auf und ab, kurz wird es ruhig, alles legt sich, wenn er könnte, auch Eduard Pospischill,am liebsten zu Hause in seine großzügige Sitzecke vor den Fernseher. Selbst der Metzger denkt mit Wehmut an seine geräumige Bundfaltenhose, sein Chesterfieldsofa und seine Plattensammlung. Gute Musik zu einem guten Glas Rotwein in einem gut belüfteten Raum zieht er jedem Maskenball inmitten transpirierender Menschen vor. Von Sich-Erheben und Nach-Hause-Gehen kann aber jetzt nicht die Rede sein. Nach Teil eins, genannt »Die Anbetung der Erde«, folgt die für klassische Konzerte übliche beifallslose Pause zwischen den einzelnen Abschnitten des Werks. Wobei die Zuhörer ohnehin gar nicht hätten klatschen können. In diesem
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