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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel
Autoren: Thomas Raab
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zwängen versucht, allzu wörtlich und verschwindet nach einem kurzen Schnalzer einige Meter entfernt im Kanalgitter. Wer lange still und heimlich unter Spannung steht, explodiert eben eines Tages völlig unvermutet, das wird der Willibald demnächst noch viel deutlicher zu spüren bekommen.
    Mitgerissen von dieser Revolution, vollführt auch der Reißverschluss seinen Befreiungsakt. Keine Chance mehr, das zuzukriegen, wird dem Metzger nun klar, was ohne Gürtel auch für die Hose gilt. So angenehm dies für das eingeschnürte Gedärm auch sein mag, einen ungünstigeren Platz gäbe es wohl kaum. Wie gesagt, es ist ein lauer Abend, da geht man gern zu Fuß, es sind also nicht wenige Blicke, die den ahnungslosen Willibald da zu später Stunde auf dieser rege frequentierten Straße treffen. An einer Hausmauer lehnt ein Mann mit hochgeschlagenem Kragen und telefoniert, ein Stückchen entfernt umgarnen zwei Burschen eine junge Dame, auf einer der halbkreisförmig um ein Denkmal angeordneten Sitzgelegenheiten blättert ein Mann mit Hut und Vollbart im Licht der Straßenlaternen in einer Zeitung, und am Sockel dieses Denkmals springt ein zierlicher Bursche in blauer Jeans, weißem T-Shirt und auffällig roter Wollmütze, was die Farbkombination betreffend ein wenig an die flatternde Flagge Hollands, Luxemburgs oder Paraguays erinnert, mit seinem Rollbrett auf und ab. Irgendwie ist es ein entzückenderAnblick, der sich dem Metzger da bietet, denn im Vergleich zu den Proportionen des kleinen Bengels wirkt alles andere einfach viel zu groß: die am Körper schlackernde Kleidung, die Haube, unter der kinnlanges blondes Haar zum Vorschein kommt, die über die Schuhe hängenden Hosenbeine, die Schuhe selbst, denen dieses gigantische hölzerne Sportgerät völlig widerspruchslos zu gehorchen scheint, das pompöse Denkmal, die Häuser dahinter, einfach alles, auch die aufmerksamen Augen im Gesicht des strahlenden Kindes. In Anbetracht dieses goldigen Engels, der ihn nun anblickt, ist er natürlich gleich ein wenig gerührt, der Willibald. Das war ihm in seinem Leben bisher nicht vergönnt: im Glauben, einen Schritt voraus, und im Wissen, immer einen Schritt hinterher zu sein, dem Heranwachsen eines Menschenjungen beiwohnen zu dürfen. Nur am Spielplatz gegenüber seiner Werkstatt ist er oft ungesehener Gast, wenn er hinter dem Fenster seines Gewölbekellers stehend mit dem schmerzhaften Wissen hinüberschaut, wahrscheinlich für den Rest seiner Tage den Kindern nur beim Schaukeln zusehen anstatt ihnen den nötigen Schubser geben zu dürfen. So unfassbar schnell geht alles vorbei.
    Unfassbar schnell ist auch der Junge, und das in mehrfacher Hinsicht. Gekonnt bewegt er seinen fahrbaren Untersatz nun mit leichten, fließenden Bewegungen auf den Metzger zu, der mit der einen Hand seinen Hosenbund und in der anderen zusammengerollt sein Jackett hält. Natürlich könnte es als hilfsbereites Anliegen ausgelegt werden, wenn einem so ein reizender Knabe unter die Arme greift. In diesem Fall aber kann von Hilfe nur hinsichtlich der Entfaltungsmöglichkeit des Willibald beziehungsweise des Sakkos die Rede sein, denn nach einemkurzen Ruck hat er wenigstens eine seiner beiden Hände frei. Wer denkt auch in einer ohnedies garstigen Situation noch zusätzlich daran, auf der Hut sein zu müssen. Obwohl, ein Hut ist das schon, sogar ein alter, dass die Not des einen den Reichtum des anderen bedeutet.
    Völlig paralysiert blickt Willibald Adrian Metzger dem Geratter hinterher. Hurtig sucht eine Gummisohle Halt auf dem Asphalt und bewegt das Skateboard, samt Sakko und einem Stückchen Erinnerung, in Richtung Nimmerwiedersehen. Das gilt nun ebenso für alle Anwesenden, die geschlossen auf das Verbrechen reagieren: So schnell kann der Metzger gar nicht um Hilfe rufen, ist er schon allein auf weiter Flur, hält sich handlungsunfähig mehr an der Hose fest, als er sie festhält, und überlegt, was denn da so alles in seinem flüchtigen Sakko war. Lang dauert sie nicht, seine Grübelei, dann nimmt er zusätzlich zur Beinbekleidung auch gleich die Beine in die Hand: »Ein besticktes weißes Stofftaschentuch, die Brieftasche und der Wohnungsschlüssel – der kann in meine Wohnung!«, geht es ihm panisch durch den Kopf. Da spürt man jedes Gramm Übergewicht, und weil beim Metzger diesbezüglich ein ansehnliches Sümmchen zusammenkommt, wechseln sich Laufen, schnelles Gehen und kurze Stopps ab. So geht es heimwärts, vorbei an den mit Münzeinwurf
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