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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber
Autoren: Sabine Thiesler
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wollen, gar kein Problem.« Sie stand steif im Zimmer, ohne sich zu drehen oder sich in die Richtung zu wenden, von der sie sprach.
    Jonathan trat in das Zimmer. Feuchte, abgestandene Luft schlug ihm entgegen, mit einem modrig süßlichen Geruch wie in einem dunklen Wald, in dem unter fauligen Baumstümpfen Moos und Pilze wucherten.
    Sofia betätigte den Lichtschalter, aber es blieb dunkel.
    Sie ging tiefer in den Raum hinein. »Es könnte sein, dass die Gasflasche leer ist, das müssen wir ausprobieren«, sagte sie.
    »Entschuldigen Sie, aber ich sehe überhaupt nichts. Es ist stockdunkel.«
    »Oh!« Sofia lachte fast. »Dann werden die Sicherungen wohl noch nicht drin sein. Kleinen Moment.«
    Mein Gott, dachte er, sie sieht nichts. Für sie macht es keinen Unterschied, ob das Licht an oder aus ist, sie ist blind.
    Zwischen Torbogen und Tür gab es eine Nische, in der der Sicherungskasten hing. Sofia ertastete und öffnete ihn. Jonathan hörte es ein paarmal knipsen, und dann ging zumindest eine Glühbirne im Küchenbereich an.
    »Besser?«, fragte Sofia.
    »Ja. Danke.«
    Im schummrigen Licht starrte er sie an, was sie jedoch nicht bemerkte. Ihre Augen wanderten ziellos hin und her, und dann wartete sie darauf, dass er etwas sagte.
    Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Er fand den Lichtschalter, und auch hier brannte nur eine schwache Glühbirne an der Decke. Auf den ersten Blick sah er die feuchte Wand in der Nische hinter dem Bett, an der sich schon an einigen Stellen der Putz löste. Über dem Bett lag eine großgeblümte, verblichene Tagesdecke, die bestimmt schon fünfzehn Jahre oder mehr in diesem Zimmer, zumindest aber in diesem Haus überdauert hatte.
    Im Wohnzimmer lagen zwei Teppiche: einer unter dem winzigen Couchtisch und einer vor dem Kamin. Sie waren nicht verblichen, sondern einfach derartig abgetreten, dass sie ihre Farbe fast völlig verloren hatten. Couch, Sessel und Couchtisch waren ein Relikt aus den sechziger Jahren, ein Fernseher fehlte ganz.
    Die Kochnische bestand aus einer schlichten verchromten Spüle, der man deutlich ansah, dass sie jahrelang mit scharfen Reinigern und harten Scheuerschwämmen malträtiert worden war, daneben eine zweiflammige Kochplatte. Zwei einfache Hängeschränke hingen über der Kunststoff-Arbeitsplatte, über der die nackte Glühbirne pendelte, weil Sofia sie angestoßen hatte, als sie den Lichtschalter neben dem Fenster betätigt hatte.
    Neben der Tür stand ein schmaler Kleiderschrank und davor ein Schirmständer, den sicher noch nie jemand benutzt hatte, da außer ihm wohl kaum jemand auf die Idee gekommen war, im November in einer solchen Wohnung zu wohnen.
    Jonathan fand es unerträglich dunkel im Raum, und er entdeckte als weitere Lichtquelle nur noch eine vergilbte Stehlampe mit gefaltetem Schirm neben der grün-gelb gemusterten Gardine dem Couchtisch gegenüber.
    »Prima«, sagte er zu Sofia und öffnete die Tür zum Bad. Rechts neben der Tür war der Lichtschalter, und als er ihn betätigte, gab die Neonröhre über einem Spiegelschränkchen hinter bräunlichem Plexiglas klägliches, düsteres Licht, das unentwegt flackerte und zuckte. Jonathan registrierte, dass es im Bad eine Toilette, ein Bidet und ein winziges Waschbecken gab, und schließlich entdeckte er links hinter der Tür auch noch einen Duschkopf an der Decke, ohne Duschkabine, aber mit einem Abfluss im Fußboden.
    Wenigstens etwas, dachte er erleichtert, auf einen klebrigen Duschvorhang kann ich verzichten, Hauptsache, ich bekomme heute Abend noch eine heiße Dusche.
    »Ich zeige Ihnen jetzt noch die andere Wohnung. Sie ist etwas kleiner, aber dafür auch billiger«, meinte Sofia, zog die Tür hinter sich zu und ging wieder voran bis hinters Haus. Eine steinerne Treppe führte direkt in das obere Stockwerk, aber der winzige Portico bot nicht genug Platz für Tisch und Stuhl. Von hier hatte man wahrscheinlich einen Blick ins Tal bis nach Ambra und über die dahinter liegenden Bergketten bis hin zum Prato Magno.
    Die zweite Wohnung war ähnlich erbärmlich ausgestattet, Küche und Bad waren fast identisch, aber sie hatte nur ein Zimmer, und ein Kamin fehlte ganz.
    »Wunderbar«, meinte er, nachdem er sich umgesehen hatte, »ich glaube, ich nehme die größere Wohnung unten, die wir zuerst gesehen haben. Sie gefällt mir besser.«
    Er war irritiert über seinen eigenen Optimismus, denn bis vor zwei Tagen hatte er noch in einem Haus gewohnt, das einen großen Garten, eine Terrasse, acht Zimmer
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