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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit
Autoren: W. Somerset Maugham
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der Gefahr mit offenen Augen ausgesetzt. Es wäre ein Wahnsinn, wollte er wegen eines solchen Malheurs sein ganzes Lebensmuster durcheinanderbringen und seine Pläne umwerfen. Er war einer der wenigen Menschen, die sich der Vergänglichkeit des Lebens bewusst sind, und wie wichtig es ist, es aufs Beste auszukosten. Er würde für Sally tun, was er nur konnte; er war in der Lage, ihr eine größere Summe zu geben, mit der sie versorgt wäre. Ein starker Mensch ließe sich durch nichts von seinem Vorhaben abbringen.
    Das alles sagte sich Philip; er wusste aber bereits, dass er nicht danach würde handeln können. Er kannte sich.
    »Ich bin so verdammt schwach«, stöhnte er verzweifelt.
    Sie hatte ihm vertraut und war lieb und freundlich zu ihm gewesen. Er konnte nicht etwas tun, das er, entgegen allen Vernunftsgründen, für abscheulich hielt. Er wusste, er würde auf seinen Reisen keinen Frieden finden, wenn er ständig daran denken müsste, dass sie sich in einer elenden Lage befand. Außerdem waren da noch ihr Vater und ihre Mutter: Sie hatten ihn stets gut behandelt; er konnte es ihnen nicht mit Undank lohnen. Es blieb nur eins: Er musste Sally so schnell wie möglich heiraten. Er würde Dr.   South schreiben, ihm mitteilen, dass er sich demnächst verheiraten wollte. Sollte sein Angebot noch gelten, so wäre er bereit, es anzunehmen. Diese Art von Praxis inmitten von armen Leuten war die einzig mögliche für ihn; dort wäre sein Gebrechen unwichtig, und sie würden nicht über seine einfache Frau spotten. Es war schon seltsam, sich Sally als seine Frau vorzustellen; es wurde ihm dabei weich ums Herz, und dann das Kind, das sein Kind war. Er zweifelte kaum, dass Dr.   South ihn nehmen würde, und schon stellte er sich das Leben mit Sally in dem Fischerdorf vor. Sie würden ein kleines Haus besitzen, von dem aus man das Meer sehen konnte; er würde die mächtigen Schiffe beobachten, die zu den Ländern fuhren, die er nun niemals kennenlernen konnte. Vielleicht war es so die klügste Lösung. Cronshaw hatte ihm gesagt, dass die Tatsachen des Lebens denjenigen wenig bekümmerten, der durch die Kraft seiner Phantasie die Zwillingsreiche, Raum und Zeit, beherrschte. Es war wahr. Liebst du doch ewig und bleibt sie so schön!
    Alle seine großen Hoffnungen wären das Hochzeitsgeschenk an seine Frau. Selbstaufopferung! Philip fühlte sich ganz erhoben durch die Schönheit dieses Opfers und dachte den ganzen Abend darüber nach. Er war so aufgewühlt, dass er nicht zu lesen vermochte. Es war, als triebe ihn etwas aus den Zimmern hinaus, er wanderte den Birdcage Walk auf und ab, das Herz klopfte ihm laut vor Freude. Er konnte seine Ungeduld kaum bezähmen. Er wollte Sallys Glück sehen, wenn er ihr seinen Antrag machte. Wäre es nicht bereits so spät gewesen, so wäre er jetzt sofort zu ihr hingegangen. Er stellte sich vor, wie er mit Sally in ihrem behaglichen Wohnzimmer die langen Abende verbringen würde; mit zur Seite geschobenen Vorhängen, damit man auf das Meer hinausschauen konnte. Er würde über seinen Büchern sitzen und sie über ihrer Arbeit. In dem gedämpften Licht der Lampe würde ihr liebes, süßes Gesicht noch heller erscheinen. Sie würden über das Kind sprechen, das in ihr wuchs; in ihren Augen würde das Licht der Liebe leuchten, wenn sie ihn anblickte. Die Fischer und ihre Frauen, seine Patienten, würden sie liebgewinnen, und sie wiederum, Sally und er, würden die Freuden und Leiden ihres schlichten Lebens teilen. Aber immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem Sohn zurück, seinem und ihrem. Schon jetzt fühlte er eine leidenschaftliche Hingabe an das Kind. Er würde seine Hände über die kleinen, vollkommen gestalteten Glieder gleiten lassen; er wusste, es würde ein schönes Kind werden. Und ihm würde er alle seine Träume von einem reichen, bewegten Leben vermachen. Indem er noch einmal die lange Pilgerschaft der vergangenen Jahre überdachte, nahm er die Zukunft mit freudigem Herzen hin. Er nahm die Verkrüppelung hin, die ihm das Leben zuerst so schwer gemacht hatte; er wusste, sie hatte sein Wesen verbogen, aber sie hatte ihm auch gleichzeitig die Kraft der inneren Einsicht verliehen, aus der er so viel Freude gewinnen konnte. Ohne diesen Mangel hätte er wohl nie die Schönheit so eindringlich zu erfassen vermocht, hätte die leidenschaftliche Liebe zu Kunst und Literatur nie entwickelt und sein Interesse für die verschiedenartigsten Ausprägungen des Lebens. Der Spott und die
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