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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita
Autoren: Michail Bulgakow
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Pockennarbigen Lahmen Alten um die Möglichkeiten des Menschen im Guten und Bösen ausdrückte — zu einem "Instrument für die Vermittlung unserer heutigen Ideen". Nur so gelang es Bulgakow, das künstlerisch zu bewältigen, was in der Wirklichkeit noch keinen Abschluß gefunden hatte: die endgültige Überwindung ,aller Berlioz', die den Weg des Iwan Hauslos zur sozialistischen Emanzipation noch kreuzen sollten. Die Zerschlagung der RAPP war ja nur eine "Schlacht unterwegs", der noch weitere und geschichtlich entscheidendere folgen sollten.
    Um für die künstlerische Bewältigung dieser Problematik ein Orientierungsmuster geben zu können, benötigte Bulgakow sowohl seine Umgestaltung der biblischen Legende als auch die dritte Handlungsebene, die phantastische Welt Volands und seiner Gesellen. Nur in dieser Ebene vermochte Bulgakow den perspektivischen Bezugspunkt seines Weltgedichtes künstlerisch zu realisieren. Nur mit Hilfe Volands, des symbolischen Vollstrek-kers des "Gesetzes der Gerechtigkeit", konnte Bulgakow die Problematik der "kleinen und großen Welt" seines Romans zu einer Menschheitsdichtung verallgemeinern, die von neuer Position aus poetisch sinnfällig macht: "Alles wird richtig werden, darauf ruht die Welt."
    Goethe hatte im Gespräch mit Eckermann am 6. Juni 1831 über den phantastischen Schluß des "Faust" angemerkt: "Übrigens werden Sie zugeben, daß der Schluß schwer zu machen war und daß ich bei so übersinnlichen, kaum zu ahnenden Dingen mich sehr leicht im Vagen hätte verlieren können, wenn ich nicht meinen poetischen Intentionen durch die scharf umrissenen christlich-kirchlichen Figuren und Vorstellungen eine wohltätig beschränkende Form und Festigkeit gegeben hätte." Goethe wußte: "Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens. Beide erfinden eingebildete Wesen ... Dem Poeten schadet der Aberglaube nicht, weil er seinen Halbwahn, dem er nur mentale Gültigkeit verleiht, mehrseitig zugute machen kann." Davon ausgehend, symbolisiert Goethe in den scheinbar mystischen Szenen seines Werkes, besonders in der Schlußszene über den Weg "der geretteten Seele nach oben" seine Vorstellung von dem weiteren Fortschreiten der Menschheit und der perspektivischen geschichtlichen Selbstverwirklichung des Menschen, die er im einzelnen noch nicht überblicken konnte. Für Bulgakow waren solche poetischen Ausdrucksformen noch nötiger, da er sich mitten in einem sehr vielschichtigen und komplizierten revolutionären Prozeß befand. Er verwendete daher für die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft in noch stärkerem Maße als Goethe analoge phantastische Formen, die klar umrissenen und dem Leser vertrauten Bilder und Motive biblischer und apokrypher Legenden, Goethes und Dostojewskis. Er gestaltete es jedoch für seine Zwecke — meist sogar polemisch — um. Es ist äußerst interessant und wichtig zum tieferen Verständnis der künstlerisch-ideellen Eigenart von "Meister und Margarita", diese vielfältigen schöpferischen Rezeptionen Bulgakows im einzelnen zu untersuchen. Solche Untersuchungen hatte Gorki schon 1935 bei einer Herausgabe aller Faustwerke, angefangen von der Jahrmarktskomödie, angeregt, um "das Wachsen der Formen, die Veränderung der Wertungen, den schnellen Wechsel der Lebensverhältnisse an einem und demselben Thema zu zeigen".
    Das ist hier jedoch nicht möglich. 3 Doch auf ein wichtiges Ergebnis dieser vielschichtigen Verarbeitung früherer Literatur in dem Roman "Der Meister und Margarita" sei hier noch verwiesen: Die biblische Passionslegende wird bei Bulgakow zu einer realistischen Geschichte und die Gegenwart zur Legende. Was hat das zu bedeuten? Die Jesus-Pilatus-Legende ist, wie sie Bulgakow umgestaltet hat, durch die zweitausendjährige weltgeschichtliche Entwicklung von der urkommunistischen Vision zur heutigen Menschheitsgeschichte bereits Realität geworden. Die Gegenwart ist berufen, diesen uralten Traum der Menschheit vom "Goldenen Zeitalter" zu verwirklichen. Sie geht daher in die Zukunft über und erscheint wie eine erst noch "zu erschaffende Legende". Dieses poetische Epochenbild ist nicht neu in der Sowjetliteratur. In dem ersten bedeutenden Prosawerk der Sowjetliteratur, "Der Fall von Dair" (1921) von Alexander Ma-lyschkin, den Bulgakow nicht zufällig sehr hoch schätzte, wurde die Revolution bereits ebenfalls als eine "zu erschaffende Legende" gestaltet. Die Erstürmung Perekops und die Befreiung der Krim, der letzten Bastion der Weißen im Jahre 1920, wurde
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