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Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)

Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)

Titel: Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Autoren: Johannes K. Soyener , Wolfram zu Mondfeld
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höchsten Kirchenfest, verdient gehabt.
    Ein Raunen und Murmeln, ein Scharren und Husten durchlief den Kirchenraum, doch niemand in der bis zum letzten Winkel gefüllten Kirche machte Anstalten, das Gotteshaus zu verlassen.
    Die Männer und Frauen, die dicht an dicht in den Seitengängen und unter der aus rotem Marmor gemauerten Empore standen, sich gar in den Knappenchor hineindrängten, bereuten es nicht, den Weg aus Jenbach und Rattenberg, aus Brixlegg, Vomp und Wattens, aus Hall und sogar aus Innsbruck auf sich genommen zu haben. Auch wenn manch neidischer Blick die Bürger von Schwaz traf, die in ihren seit Generationen reservierten Kirchenstühlen hockten, die geschnitzten Türlein zu den Gängen gegen die Ortsfremden fest verschlossen.
    Einen Trost freilich hatten sie, die Neugierigen aus der Umgebung: Wenn es erst zum Richtplatz ging, würden sie vor den anderen aus der Kirche kommen, würden die Schnelleren sein, würden das blutige Spektakel, das Foltern und Schinden, das Reißen und Stechen und Hacken in vorderster Reihe verfolgen können.
    Ein wenig seltsam mischte sich diese Vorfreude mit den verklungenen Paulus Worten der Epistel:
    »Brüder! Als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte, ziehet an mitleidiges Erbarmen, Güte, Demut, Bescheidenheit, Geduld. Ertraget einander und verzeihet einander, wenn einer über den anderen zu klagen hat. Wie der Herr vergeben hat, so sollt auch ihr tun.«
    Doch der Jesuitenpater hatte in seiner girlandenreichen Predigt dargelegt, daß dies allein für wahre Christen gelte. Nicht aber für Teufelsdiener und Räuber, Sakrileger und reißende Bestien wie jenen, der heut und hier abgeurteilt werden solle, für das Ungeheuer, das Not und Tod von Tausenden auf seinem Gewissen habe.
    Ebenso erwartungsvoll wie das Volk von außerhalb saß an diesem Sonntag die Gemeinde in zwei Chören säuberlich getrennt auf den Bänken. Der nördliche Leutchor war mit Bürgern, Kaufleuten, Handwerkern besetzt; im südlichen Knappenchor, wo das Gerichtsspektakel stattfinden sollte, drängte sich die Berggemeinde.
    Zwischen beiden erhob sich ein mannshoher Bretterzaun.
    Die Ursache für diese Teilung lag nicht bei Gott als kommendem Richter. Sie lag in der irdischen Gerichtsbarkeit. Es gibt in Schwaz nicht nur eine Gemeinde, sondern deren zwei: die Bergwerksgemeinde unter Aufsicht des Bergrichters und eine Bürgergemeinde aller Nichtbergleute unter dem Landrichter. Zwei rivalisierende Gemeinden unter einem Dach, getrennt durch eben jenen drei Ellen hohen Bretterzaun entlang der mittleren Säulenreihe – Gottes Wort und Lehre verhöhnend, aber notwendig, auf daß aus dem Gotteshaus neben geistlicher Erbauung nicht auch leibliche Blessuren davongetragen werden.
    Ein Aufatmen ging durch die Menge. Franziskanermönche aus dem nahe gelegenen Kloster begannen die Bretterwand mit schnellen, geübten Griffen einzulegen.
    Beifälliges Gemurmel durchzog den Leutchor.
    Überraschend die Mächtigkeit des Langhauses, das wie ein weiter Saal wirkte, jetzt, wo der Zaun fiel. Drei Reihen massiver Rundsäulen gebändert und zusammengefügt aus rotem Marmor, schwarzem Kalk und gelbem Tuff, verliehen der Halle nach allen Seiten bis hinauf zum hohen Gewölbehimmel eine unvermutete Farbigkeit.
    Jedoch im selben Augenblick, als durch die großen, hellen Fenster das Sonnenlicht flutete, das die morgendliche Nebeldecke über Schwaz durchbrach, erzeugte das Licht einen gespenstischen Kontrast zu dem schwarzbraunen Leder und den spitzen, weißen Gugelhauben der Bergleute im südlichen Knappenchor. Wie ein stolzes Abzeichen für ihre Zugehörigkeit zum Berg trugen sie alle den schweren, ledernen Schurz, das Arschleder, um die Hüften gebunden.
    »Von unten rädern – erst die Knöchel, dann die Schienbeine, die Knie …«, zischelte die Engensteinerin unterdessen aufgeregt in der Bank, neben meinem Standplatz.
    Ein breitschultriger Mann mit schwarzem Haarschopf und einem ausgeschlagenen Schneidezahn beugte sich, nun nicht mehr von dem trennenden Zaun behindert, um die Säule herum:
    »Gar nichts werdet Ihr sehen, Meisterin. Der Mann ist des Bergfrevels angeklagt. Und wenn man ihn richtet, dann werden nur die Knappen zugegen sein.«
    »Aber für was wären denn dann die vielen Zuschauer hergekommen?« empörte sich die Engensteinerin.
    »Na, besonders viel werden wir Knappen auch nicht davon haben«, grinste der Mann zahnluckig. »Bestenfalls einen langen Schrei, wenn er in den tiefsten Schacht zum Gapl
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