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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister
Autoren: Rosendorfer Herbert
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Vivaldi und denen Brahms’, von dem er behauptete, er sei auch rothaarig gewesen. Weiter hinten untermauerte Freudmann seine Behauptung, Brahms sei rothaarig gewesen, mit der Ähnlichkeit seiner melodischen Textur mit der Vivaldis.
    So glitt ich also, ohne von ihr professionell berührt zu werden, in die Musikwissenschaft hinein. Ich hielt mich bescheiden, unvorlaut (zurücklaut?) im Hintergrund, war aber gern gesehen. Es ging so weit, daß man sich fragte, wenn ich einmal eine Lehrveranstaltung versäumte (ich hatte ja schließlich noch mein eigenes, eigentliches Studium herunterzuspulen): »Wo bleibt denn der R.?«
    Einmal hielt ich sogar ein Referat: über musikalische Parodie, wobei ich nicht den anderen, musikwissenschaftlichen Begriff »Parodie« behandelte, die Verwendung vorhandenen Materials aus weltlichen Werken für geistliche, also wenn Bach eine Nummer aus einer weltlichen Kantate in seine h-Moll-Messe übernahm, sondern den allgemeinen Begriff »Parodie«. Wenn sich Mozart zum Beispiel in Così fan tutte in der Fiordiligi-Arie »Come scoglio« über den Gestus der heroischen Oper lustig macht. (Mozarts Così , sagte ich hier nebenbei, ist der Triumph des Zivilisten über das Militär.)
    *
    »Was macht der Göttliche Giselher?« fragte ich in der Madonna.
    Carlone lachte. »Ja, ach der. Der hat eine reiche Frau geheiratet und tut gar nichts mehr. Nur ab und zu schreibt er für irgendeine elitäre Zeitschrift einen Aufsatz über etwas, wovon er nichts versteht.«
    Es gab zwei solche Existenzen am Rand des Instituts. (Nicht so weit außen am Rand wie ich. Beide hatten Musikwissenschaft als Nebenfach und waren also aufScheine und Prüfungen angewiesen.) Zwei: den Göttlichen Giselher und den »Meister«. Sie unterschieden sich dadurch, daß der Göttliche Giselher von allem nichts verstand und der Meister alles besser wußte. Beim Meister kursierte hinter seinem Rücken das Wort: »Ein besonders gefährlicher Besserwisser, weil er es wirklich besser weiß.«
    Der Göttliche Giselher war bei Licht betrachtet ein liebenswürdiger und umgänglicher Mensch, wenn man von seinen Vorträgen absah. Er war ein hellhaariger germanischer Baldur von ziemlicher Größe, allerdings kein Hüne, sondern mehr in Richtung Lichtgott, eben ein Baldur. »Er hat keine Glatze«, sagte einmal Dr. Rosenfeld, »nur durchsichtige Haare.« Vor seinen Vorträgen war man nie sicher, nicht einmal …
    »Warum und wieso«, erinnerte ich mich in der Madonna , »ich mit ihm in die Stadt ging, weiß ich nicht mehr. Er beschloß plötzlich, eine Unterhose zu kaufen. Nun gut. Wir gingen in eins der großen Kaufhäuser und dort in die Herrenwäscheabteilung. Der Göttliche Giselher knüpfte ungeniert vor der Verkäuferin seine Hose auf, zeigte auf die Unterhose, die er anhatte, und sagte: ›So eine, bitte, nur neu.‹ Er hielt mir dann einen Vortrag über – der Titel hätte lauten können: Die Unterhose in Geschichte und Gegenwart . Die Verkäuferin stand da mit offenem Mund.«
    *
    Wie lange bewegte ich mich in dem Kreis der Musikwissenschaft? Vielleicht zwei Jahre, dann machte ich mein Examen, es begann für mich die Referendarzeit. Auch dann ging ich noch öfter hin zu einem Seminar, ganz unregelmäßig, wie man sich denken kann, so oft mir das, was ja nun schon Dienst war, Zeit ließ. Ich hatte die Freiheit des Außenstehenden, dessen, der auf nichts angewiesen ist.
    Ich bekam mit, daß Professor Goblitz ein Freisemester nahm, das stand ihm zu wie allen Ordinarien: Forschungssemester. Neckisch-modern ausgedrückt: Sabatical Year.
    Für ihn kam ein Gastdozent aus der Schweiz: Professor Amtobel. Er sah aus wie ein sehr großer Engerling und war ein enormer Schürzenjäger, aber einer von der, wenn man so sagen kann, ehrlichen Sorte: Er verliebte sich zumindest temporär in jede Schürze, die er jagte.
    Wir machten einen Ausflug. Beteiligung freiwillig, weil das Institut nicht genug, genauer gesagt kein Geld für so etwas hatte und die Studenten alles selber bezahlen mußten. Immerhin wurde die Beteiligung den Seminarteilnehmern wie ein Pflichtreferat angerechnet. Ich war dabei, wie immer, aber am Rande und als Gast sozusagen ohne Stimmrecht.
    Der Anlaß war die Aufführung einer Barockoper in einer Kirche in einer Stadt im Fränkischen. Dr. Rosenfeld, der Hauptassistent, Spezialist für alte Musik, arrangierte alles: die Eintrittskarten, den Omnibus für die Reise, die Quartiere (entweder in der Jugendherberge oder für diejenigen, die
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