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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan
Autoren: Amelie Fried
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Also fragte sie weiter.
    »Haben Sie Kinder?«
    »Nein. Leider nicht.«
    »Und … seit wann wohnen Sie hier?«
    »Vor zehn Jahren sind wir hergezogen«, erzählte Mattuschek, »hatten genug von der Stadt. Leider hat der Verkäufer uns über den Tisch gezogen. Prozessieren heute noch. Aber in diesem Land sind Recht haben und Recht bekommen zwei Paar Schuhe.« Es klang bitter.
    Kate nickte zustimmend. »Das kenne ich! Ich habe auch mal einen Prozeß verloren. Mein Vermieter hat mich auf fünf Monatsmieten verklagt, obwohl er meine Kündigung am Telefon angenommen hatte. Vor Gericht wollte er nichts mehr davon wissen.«
    Mattuschek winkte ab. »Schriftlich. Man muß alles schriftlich machen. Eigentlich müßten Sie mir auch eine Einverständniserklärung unterschreiben.«
    Kate blickte fragend.
    »Wegen des Apfelbaums. Daß Sie mir gestattet haben, die überhängenden Zweige zu entfernen.«
    »Ach so! Das ist schon in Ordnung.«
    Ein Moment des Schweigens entstand. Beide sahen geradeaus, in Richtung auf Mattuscheks Grundstück. Vielleicht wartete er darauf, daß sie sich noch mal bedankte.
    »Sie haben einen wunderbar gepflegten Garten«, sagte Kate.
    Mattuschek nickte eifrig. »Viel Arbeit! Die ganzen Schädlinge.«
    »Sie meinen … die Schnecken?« fragte Kate mit schiefem Grinsen.
    »Schnecken, Maulwürfe, Vögel, Mäuse, Katzen …«
    »Katzen? Die fangen doch die Vögel und die Mäuse!«
    »Scheißen alles voll. Ekelhaft.«
    »Na ja, aber wir sind nun mal auf dem Land …«, wandte Kate ein.
    »Schon klar. Man hat keine Chance gegen das Viechzeugs.«
    Er deutete in ihren Garten. »Wenn Sie’s hier ein bißchen gepflegter haben wollen – ich bin Ihnen gerne behilflich!«
    Bevor Kate antworten konnte, ging gegenüber ein Fenster auf, und eine Frau steckte den Kopf raus.
    »Willi, Essen ist fertig!«
    Endlich, dachte Kate. Mattuschek erhob sich.
    »Schönes Wochenende, Frau Moor.«
    »Danke, gleichfalls«, erwiderte Kate.
    »Kommen Sie doch mal bei uns vorbei! Meine Frau backt einen wunderbaren Kirschkuchen.«
    »Danke«, sagte Kate.
    Sie stutzte. Hatte er »Moor« gesagt? Hatte sie sich ihm nicht mit »Allgöwer« vorgestellt? Sie überlegte einen Moment, aber sie war sich nicht mehr sicher.
    Eine Weile blieb sie noch auf der Bank sitzen, dann stand sie auf und wanderte durch den Garten. Die Bilder des Morgens ließen sie nicht los. Schließlich betrat sie ihre Werkstatt. Sie mußte irgend etwas tun, sich ablenken. Vielleicht half Arbeit.
    Behutsam wickelte Kate ein Werkzeug nach dem anderen aus seiner schützenden Umhüllung. Schnitzmesser, Stecheisen und Feilen reihten sich vor ihr auf der Werkbank; eine Schachtel mit Bohrern und konischen Reibahlen, alles teure Spezialanfertigungen für den Instrumentenbau, vervollständigten das Sortiment.
    Kate hatte erst spät zu ihrem eigentlichen Beruf gefunden.
    Als Samuel in den Kindergarten ging, begann sie, sich zu langweilen. Zunächst war sie auf die naheliegendste Idee gekommen: ein zweites Kind. Komischerweise klappte es nicht, obwohl sie beim ersten Mal trotz Verhütung schwanger geworden war.
    Da entschloß sie sich, das zu lernen, was sie eigentlich immer schon hatte lernen wollen: Flöten zu bauen. Mit viel Glück fand sie eine Lehrstelle bei einem grantigen, alten Flötenbauer, der sie schlecht behandelte, ihr aber alles beibrachte, was er konnte, bevor er starb. Da war sie schon fast dreißig und tat endlich das, was sie wirklich tun wollte.
    Kates Kindheit war von Musik geprägt gewesen; jeder Anlaß hatte seine Melodie. Ihre Eltern und Geschwister spielten mehrere Instrumente, sie hatte von Anfang an nur eine Liebe gehabt: die Flöte.
    Von vielen als albernes Klein-Mädchen-Instrument abgetan, war die Blockflöte für Kate der Rettungsanker in einem perfekt durchorganisierten Kinderleben gewesen. Schule, Hausaufgaben, Musikunterricht, Turnverein, Malstunden – ihre Eltern waren wild entschlossen, ihrem begabten Töchterchen jede Förderung angedeihen zu lassen. Kate fand das alles anstrengend, nur das Flötenspiel war Entspannung. Die Flöte war ihr Begleiter, ihr Halt, ihr Fixpunkt im All, auf den sie sich konzentrieren und dabei alles andere vergessen konnte.
    Sie mochte den leicht melancholischen Klang, der mehr wie ein verhangener Regentag war als wie ein unbeschwerter Sonnentag. Sie war froh, daß die Flöte ein leichtes Instrument war, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn. Sie konnte sie überallhin mitnehmen, und sie hatte sehr schnell
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