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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan
Autoren: Amelie Fried
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sitzen und zu grübeln. Ich werde mich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden.«
    Sie gaben sich die Hand; ein intensiver Blick aus warmen, braunen Augen traf Kate.
    Sie drehte sich um und lief los. Es war inzwischen viel zu heiß zum Laufen; gnadenlos brannte die Sonne herunter. Trotzdem fröstelte Kate. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, und als sie sicher war, daß niemand mehr in der Nähe war, holte sie tief Luft und stieß einen lauten Schrei aus.
     
    Zu Hause fand sie eine Nachricht von Samuel. Ein verwackeltes Herz, in das er »I love you« geschrieben hatte, und darunter stand: »Bin morgen um sechs zurück.«
    Kate ging ins Bad, um zu duschen. Mit geschlossenen Augen ließ sie das heiße Wasser über ihr Gesicht und ihren Körper fließen. Die Wanne hatte keinen Duschvorhang, sie achtete nicht darauf, daß sie das halbe Bad unter Wasser setzte. Als sie die Augen öffnete, konnte sie sich im Spiegel sehen.
    Der Anblick ihres Körpers verschwamm mit dem Bild der Toten. Das Wasser lief an Kates Beinen herab, wie das Blut wohl an den Beinen der Frau herabgelaufen war. Der Mörder mußte seinem Opfer den ganzen Unterleib zerstochen haben, nur so war das viele Blut zu erklären. Kate wußte nicht, warum sie das dachte, aber sie war sicher, daß die Frau auch vergewaltigt worden war.
    Kate blieb unter dem heißen Wasserstrahl stehen, bis ihre Haut krebsrot war. Der Dampf hatte den Spiegel beschlagen lassen.
    Endlich stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab und schlüpfte in ein leichtes Sommerkleid. In der Küche machte sie sich einen starken Kaffee; mit der Tasse in der Hand ging sie in den Garten.
    Überrascht nahm sie eine Bewegung wahr: Im Apfelbaum saß Mattuschek und beschnitt die Zweige.
    Kate fühlte sich von seiner Anwesenheit überrumpelt. Sie wollte allein sein, niemanden sehen, mit niemandem sprechen. Anders, als Lander ihr geraten hatte, spürte sie keinerlei Bedürfnis, über das schreckliche Erlebnis zu reden.
    Ein unangenehmer Gedanke beschlich sie. Konnte man von da oben nicht auch ins Bad sehen? Natürlich, das Fenster hatte weder Vorhang noch Rolladen; er könnte sie die ganze Zeit im Blick gehabt haben.
    Kate spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Mißtrauisch starrte sie ihn an, aber er machte einen gänzlich unbefangenen Eindruck. Vielleicht hatte er ja gar nicht hingesehen.
    »Hallo!« winkte er mit der Gartenschere.
    »Hallo«, grüßte sie zurück und nahm sich vor, freundlich zu sein. Er würde ja wohl nicht ewig in ihrem Baum hocken.
    »Ein Kaffee wäre jetzt genau richtig!« sagte er.
    Schuldbewußt sah Kate auf die Tasse in ihrer Hand.
    »O ja, natürlich«, gab sie zurück und ging Richtung Haus.
    Ein großer Ast krachte hinter ihr herunter. Erschrocken drehte sie sich um.
    »Schneiden Sie nicht zuviel weg«, bat sie.
    »Was sein muß, muß sein.«
    Kate runzelte die Stirn. Gleich darauf kehrte sie mit einem Tablett zurück.
    Mattuschek kletterte behende vom Baum herunter und setzte sich auf die Gartenbank, deren Holz durch Jahre im Freien silbergrau geworden war.
    »Milch und Zucker?«
    Er nickte. »Beides, bitte.«
    Sie schob ihm Milchkanne und Zuckerdose hin, und er bediente sich.
    »Also dann, vielen Dank«, sagte sie und erhob ihre Tasse, als wäre sie ein Weinglas.
    »War mir ein Vergnügen, Frau Nachbarin«, sagte er aufgeräumt.
    Sie überlegte, wie sie ihn loswerden könnte. In diesem Augenblick konnte sie seine joviale Art nicht ertragen.
    Mattuschek schien sich auf einen längeren Plausch einzurichten; entspannt hatte er seinen Arm über die Rückenlehne der Bank gelegt und redete gutgelaunt auf sie ein.
    Kate fragte sich, wie alt er wohl wäre. Die hellen Augen und der gebräunte Teint ließen ihn jünger erscheinen, aber er war sicher schon Ende Fünfzig. Sein braunes Haar mußte in Wirklichkeit grau sein; Kate war sicher, daß es gefärbt war. Er hatte ein Durchschnittsgesicht ohne besondere Auffälligkeiten, sah man von den zwei scharfen Längsfalten ab, die sich neben seinem Mund eingegraben hatten.
    Seine Hände waren erstaunlich feingliedrig; es waren nicht die Hände eines Mannes, der körperlich arbeitete.
    »Was sind Sie von Beruf?« fragte Kate.
    »Ruhestand«, gab er knapp zurück.
    »Und früher?«
    »Alles mögliche. Import-Export. Unternehmensberatung. Sicherheitsanlagen. Was sich so geboten hat.«
    Die Auskünfte schienen Kate merkwürdig vage; war wohl nicht sein Lieblingsthema. Aber Kate wußte nicht, wie sie das Gespräch beenden könnte.
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