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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft
Autoren: Sibylle Berg
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Reizklima, das Meer liegt zehn Meter von meinem Bett entfernt, ein schwarzes Loch, das sich ständig bemerkbar machen muss, mit Wellen und Wispern und Rauschen. Die Nacht ist mir noch mehr Feind als der Tag. Keine Rituale, keine Ruhe, nichts außer der halben Dunkelheit und den Geräuschen. Und ich, die ich mich zwinge, nach unten zu gelangen, wo die Ohnmacht wartet.
    Ich schlafe jede Nacht, ohne es zu wollen, denn es scheint mir Verrat und verlogene Normalität in einer Kriegssituation, ich schlafe, ohne die REM-Phase zu betreten, mich beobachtend, wie ich liege und warte, und ich verabscheue mich dabei. Ich habe den Sieg des Körpers akzeptiert und packe ihn nun bei Nacht in das Bett, das zu klein für zwei Personen war, das zu groß ist für mich allein.
    Seine Seite befindet sich noch, wie er sie verlassen hat, das Kissen mit einer Mulde, in der sein großer Kopf gelegen hatte, das Laken zerknittert.
    Ordnung machen würde bedeuten, dass ich akzeptiere.
    In den ersten Wochen hielt mich das Adrenalin wach, ich saß und starrte in die Nacht, bis es hell wurde, lief zur ersten Fähre, an den Häusern vorüber, in denen Familien von ihrer Unantastbarkeit träumten. Dann fing ich an, im Stehen einzunicken oder mit offenen Augen.
    Nach den ersten Wochen, die in völligem Wahnsinn vergingen – weder hatte ich Kontrolle über meinen Körper, der sich im Schock befand, noch über meine Gedanken –, ist mir nun, als tauchte ich in einem schlammigen See tief nach unten, wo hässliche, nackte Moränen im Schlick weiden. Doch ehe ich mich zu ihnen setzen kann, reißt mich ein Geräusch wieder nach oben; ein Husten von der Straße, eine Welle, die an einer Ratte anschlägt, lässt mich auffahren. Dann beginnt alles von vorn. Die Augen zu, die Glieder entspannt, den Atem beobachten, die Gedanken verjagen und mich bewegen, auf die Seite, auf den Rücken, auf den Bauch, und die Hand auf die leere Seite des Bettes schieben, und da liegt sie und wartet auf ein Wunder, auf etwas anderes als den kalten Wind, der durch das Fenster dringt.

Ehe alles begann.
Damals. Vor vier Jahren.
    Mit weichen Socken glitt ich über das Parkett meiner Wohnung. Es war ein Wochenende mit schlechtem Wetter, was mir wenig bedeutete, denn es bestand keine Notwendigkeit, das Haus zu verlassen. Auf der Straße schwammen Menschen, die mich nichts angingen mit ihren Geschichten, durch den Regen.
    Natürlich mochte ich die, die nicht ich waren, nur selten. Machten sie mir doch allein durch ihre Anwesenheit klar, dass ich nicht einzigartig war. Dass ich älter werden würde, schlaff, verrottet, vergessen. Bei jedem, der behauptete, Menschen zu lieben, vermutete ich einen Geistesdefekt, und der machte mir Angst. Wie ihre Stimmen tiefer wurden, wenn sie sagten: »Ich liebe meine Freunde und meine Familie und täte alles für sie.« Ihre überwältigende Liebe sehen wir täglich, sie liegt am Boden, mit einer Axt im Schädel, sie zerren sich gegenseitig vor Gericht, bestehlen sich, es genügt ein falscher Satz der Freunde, die einem so nahe sind, und man merkt, man hat mit keinem etwas gemein.
    Ich misstraute der Liebe zutiefst. Ein Marketinginstrument, um Waschmittel zu verkaufen. Ich war, wie die meisten meiner Generation, mit nur einem Elternteil aufgewachsen, das auch bei mir weiblich war, und hatte darum keine Erfahrung mit Männern, sie blieben mir immer unvertraut und leere Projektionsfläche für kitschige Ideen.
    Meine Versuche, Teil eines Paares zu werden, waren theoretischgeblieben und endeten ausschließlich mit dem Gefühl, allein unter Straßenlaternen gestanden und die Wohnungen junger Männer beobachtet zu haben, in denen sie mit jungen Frauen unbeschwert lachten. Über mich. Und über die anderen meines Alters, die sich die Freiheit gestatteten, Partner vornehmlich nach ihrem Aussehen zu wählen.
    Wir wollten Knaben um uns wissen, denn wir langweilten uns mit Männern unseres Jahrgangs, deren ermüdendes Inneres sich in ihrem Äußeren manifestiert hatte. Wenige waren traurige Hippies geblieben, die anderen hatten sich zu etwas Grauem geformt, das schlechte Anzüge trug und zu laut telefonierte, allzu sehr die Angst vor dem Verfall ausdünstend, der nicht aufzuhalten war, den sie ahnten und gegen den sie anschrien, hatten sie doch immer nur nach oben gewollt und nie einen anderen Plan besessen.
    Außer tiefer Verzweiflung gab es keinen Grund, mit einem dieser Männer sein Leben zu verbringen; das war letztes Jahrhundert, der schweigsame,
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