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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft
Autoren: Sibylle Berg
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rechtschaffene Vater, der sich zu Hause die Schuhe bringen lässt und eine Zigarre raucht. In dieser geflammten Holzverkleidung mochten wir uns nicht bewegen, doch die Jungen machten uns auch nicht glücklich.
    Ich hatte, wie die meisten, die mich umgaben, kein Gefühl für mein Alter. Weil ich früher attraktiv gewesen war, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass mir etwas Besonderes zustünde. Und wenn es schon keinen außergewöhnlichen Partner gab, wobei mir nicht klar war, wodurch sich dieser auszeichnen würde, sollte es zumindest ein schöner sein. Also ging ich auf die Jagd, ohne zu überlegen, was ich mit den Beutestücken machen sollte, die dann, den meist nicht überragenden Verstand von Rauschgift vernebelt, in meiner großbürgerlichenWohnung lagen. Je älter wir wurden, wir mutigen Frauen, umso verzweifelter wurden die Abenteuer, die wir hatten. Der Traum, sich jüngere Männer zu halten, scheiterte an der banalen biologischen Veranlagung des Mannes, der sich fortpflanzen wollte, und zwar mit jungen, gesunden Frauen mit breitem Becken und straffer Brust. Das Einzige, was Männer mehr schätzten als sehr junge Partnerinnen, waren sehr reiche Frauen, denn ihre Faulheit war noch stärker als ihr Drang nach repräsentativen Trophäen.
    Hatte man beides nicht zu bieten, ließen sie sich wohl für eine Nacht verführen und zeigten darauf ihr Desinteresse in unentschlossener Art. Männer sind keine Meister der Zivilcourage, und ich hatte oft den Eindruck, sie würden es bevorzugen, eine ältere Frau, mit der sie ohne Nachdenken eine Beziehung begonnen hatten, stürbe möglichst unauffällig, denn dann könnten sie sich trösten lassen. Es gäbe ihnen etwas Interessantes, wenn sie sagen könnten: »Meine große Liebe ist bei Gott.«
    Monate hatte ich damit verbracht, mir Gedanken über junge Männer zu machen. Ihnen Zeit zu geben, Verständnis zu zeigen, zu leiden, mich ungeliebt zu fühlen, hässlich und gedemütigt.
    Ich hatte gesessen und gewartet, bis die jungen Freunde des Mannes, den ich erwählt hatte, nach langen Nächten voller Bier und Marihuana endlich gegangen waren, hatte mich mit dem jungen Mann in ein schmutziges Bett gelegt, um ihn für mich zu gewinnen, und hatte seinen schweren, nach Alkohol riechenden Kopf auf meinem Leib liegen lassen, nicht schlafen könnend unter dem Gewicht. Ich hatte neben DJ-Pulten gelehnt, neben dem jungen Mann, der dort schlechte Plattenauflegte, und hatte mich von jungen Mädchen fragen lassen, ob er mein Sohn sei. Ich hatte auf Vernissagen gestanden, wo der junge Mann Kunst ausstellte und mit Kunststudentinnen flirtete, während ich am Rande stand und tat, als ob mir das alles nichts ausmachte. Ich hatte junge Männer nach Überdosen Drogen und Alkohol von Partys aufgelesen, sie hatten es gerade noch geschafft, mich anzurufen, ehe sie kollabierten, ich hatte sie gereinigt ins Bett gelegt, um am neuen Morgen von ihnen ignoriert zu werden. Ich hatte junge Männer getröstet, die unglücklich in Models verliebt waren, und manche hatten mich auch mit deren Namen angesprochen. Ich hatte mich so behandeln lassen, wie ich meinte, dass es mir zustünde, weil ich nicht mehr makellos war. Ich hatte die Fähigkeit verloren, mich selber amüsant zu finden. Und das nur, weil ich nicht wusste, was mir guttat, weil mir noch nie ein anderer Mensch gutgetan hatte.

Heute.
Nacht. Fast Morgen.
    Im Schlaf weinen. Und durch Nebel spüren, dass man weint. Und ahnen, dass es kein gutes Erwachen geben wird. Und wissen, dass es kein Albtraum ist. Nicht munter werden wollen, vom eigenen Schluchzen, das zu laut ist, in einem Raum, in dem man sich zu alleine aufhält.
    Und geträumt habe ich wieder von ihm. Er war da, neben mir, und es fehlte nichts, weil ich nicht mehr brauchte, als ihn zu halten und atmen zu hören, seine Hand zu fühlen, die sich um meine schloss, manchmal im Schlaf mein Gesicht streichelte oder mich zudeckte, ohne Beifall zu erwarten.
    Bald ist die Nacht vorbei, und vor mir liegt ein unendlicher Tag, der sein wird wie lebendig unter der Erde liegen, sich nicht bewegen können, keine Glocke da, um auf sich aufmerksam zu machen, wie in Poes Geschichten, nur starr in der Kälte begraben sein.
    Warum will es atmen, pumpt es Sauerstoff in dieses System, das keinen Schritt mehr tun will, zur Arterhaltung nicht mehr imstande, zu großen wissenschaftlichen Leistungen nicht gemacht. Weiterträumen, nichts will ich mehr, als dass er wieder anwesend ist, und sei es auch nur im
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