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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft
Autoren: Sibylle Berg
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keines der ausgestopften Tiere verabschiedet hatte über Nacht. Meinen Kaffee nähme ich neben meinem Lieblingssaurier ein, danach ginge ich in einen kleinen Raum aus Holz und Glas, der mich immer an eine Telefonzelle erinnern würde und in dem die Kasse stünde. Bis Mittag käme nur ein Rentner, er würde immer vor dem Skelett eines Tieres sitzen und weinen. Mittags dann Schulklassen, die ich mit liebevollem Argwohn beobachten würde, sie versuchten stets Knöchlein zu stehlen und wischten mit ihren fettigen Händen an den Glasvitrinen herum. Der Tag würde langsam vergehen, unter Ausschluss des Lichtes. Am Abend würde ich meinen Saurier einpacken und mit der Fähre nach Hause fahren, wo meine neunundneunzigjährige Mutter auf mich wartete.
    Ich bin für einen Moment so glücklich in meinem ausgedachten Leben, dass es mir sehr widerstrebt, zurückzukehren. Und mich sitzen zu sehen als etwas, das keiner will.
    »Lenk dich ab, geh ins Kino, geh mit Freunden aus, trinkwas, mach einen Volkshochschulkurs, lass dir die Haare abschneiden, unternimm doch mal eine Reise.« Der letzte Vorschlag war der verwegenste, und ihn hatte ein Bekannter am Telefon geäußert, vor Tagen, als ich dachte, mit Bekannten in der alten Welt zu reden brächte mir eine Erleichterung.
    Ich hatte doch eine Reise unternommen. Mit mäßigem Erfolg. Ich sitze auf einer Insel im Südchinesischen Meer. Wohin soll ich da noch fahren, wenn es sonst überall ist wie irgendwo auf Feuerland, im Dauerregen.
    Ich sitze mit dem Kaffee, der noch nicht einmal kalt wird, denn er war es schon vorher, und schaue auf das gegenüberliegende Haus. Studiere den Verfall der Regenrinne. Für etwa drei Stunden.

Damals.
Vor vier Jahren.
    Zu Hause war mir selten unwohl. Verspannt wurde ich allein, wenn ich auf die Straße musste oder wenn ich auf irgendeine Weise Kontakt mit dem gesunden Menschenverstand hatte.
    Dass ich irgendwann eine so schlechte Meinung von der eigenen Rasse haben würde, überraschte mich, ich war davon ausgegangen, dass man gütiger würde, im Alter. Als junger Mensch hatte ich mich noch über Tierschützer erregt, verstand nicht, warum man seine Energie nicht dazu verwendete, Menschen zu retten, heute wusste ich es besser.
    Es gab wohl nur wenige Tiere, die so von der Brillanz ihrer Meinung überzeugt waren wie der Mensch und die mit solcher Vehemenz ihre Dummheit verteidigten.
    Die Menschen hatten ihre niedlichen Momente, doch das täuschte nicht darüber hinweg, dass die meisten von überwältigender Einfalt und Niedertracht waren. An mir konnte ich beobachten, wie überaus schnell der Wunsch entstehen konnte, andere mit Einkaufswagen zu rammen. Nach Momenten sinnloser Wut hatte ich jedoch immer noch Sekunden, in denen mir klar war, dass andere denselben Impuls bekamen, wenn sie meine Fesseln sahen: Wir mochten uns nicht besonders. Jeder fühlte sich dem anderen überlegen, und daraus bildete sich ein Dauerton der Aggression, der den Menschen wie ein Tinnitus im Ohr klang. Permanent.
    Der Tag war mir vom Morgen an verleidet, denn ich hatte eine Verabredung. Außer zwei, drei ehemaligen Freunden, dieüber die große persönliche Freiheit verfügten, sich nicht wichtig zu nehmen, forderte mich seit geraumer Zeit keiner mehr zu Aktivitäten auf. Ich hatte zu oft abgesagt.
    Doch auch die wenigen, die sich noch meldeten, setzten mir unangenehm zu. In monatlichen Abständen drangen sie über das Telefon in meine behagliche Wohnung, da standen ihre virtuellen Leiber, vorwurfsvoll die Augenbrauen nach oben gezogen, mit spitzen Mündern, und setzten mich unter Druck, indem sie keine Lügen akzeptierten. Andere bloßzustellen, die sich mit gepflegten Unwahrheiten aus den Sackgassen unseres Miteinanders wanden, war immer ein Zeichen miserabler Manieren. »Ach komm schon, du arbeitest doch abends nie«, intervenierten die Freunde, und ich wurde rot vor Scham, denn ich war ein schlechter Lügner. Ich hasste sie dafür, dass sie mich in die unerfreuliche Lage brachten, ihnen entweder zu erwidern: »Was ich euch schon immer einmal sagen wollte: Höre ich euch nur Guten Tag sagen, falle ich um vor bodenloser Müdigkeit. Ich habe zu viele eurer nahezu identischen Lebensläufe gesehen, und ohne sie werten zu wollen, langweilen sie mich tödlich. Ihr lest keine Bücher, ihr macht keine merkwürdigen Forschungen, von denen ihr mir berichten könntet, und ganz im Vertrauen: es interessiert mich nicht, zu hören, was ihr in den Nachrichten gesehen habt.« Oder eben
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