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Der Mann im braunen Anzug

Der Mann im braunen Anzug

Titel: Der Mann im braunen Anzug
Autoren: Agatha Christie
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die Frau um 15 Uhr noch lebte, gab es nur eine logische Folgerung: Die beiden Vorkommnisse hatten nichts miteinander zu tun, und die Genehmigung zur Besichtigung des Hauses in Marlow in der Tasche des Verunglückten war nur einer jener Zufälle, die so oft im Leben vorkommen.
    Das Urteil «Vorsätzlicher Mord durch eine oder mehrere unbekannte Personen», erging, und der Polizei wie auch dem Daily Budget blieb die Aufgabe, nach dem «Mann im braunen Anzug», zu forschen. Da Mrs James fest darauf beharrte, kein anderer Mensch habe in der fraglichen Zeit das Haus betreten, war der Schluss nahe liegend, dass er der Mörder der unglücklichen Mrs de Castina sein musste. Sie war mit einem starken Seil erdrosselt worden, und zwar anscheinend so überraschend, dass ihr keine Zeit blieb, einen Schrei auszustoßen. Ihre schwarze Handtasche enthielt eine gut gefüllte Brieftasche, ein feines Spitzentaschentuch und eine Rückfahrkarte erster Klasse nach London. Es gab nichts, das einen Anhaltspunkt geboten hätte.
    So lauteten die Mitteilungen des Daily Budget, und die «Jagd nach dem Mann im braunen Anzug», wurde zu seinem täglichen Kriegsgeschrei. Rund fünfhundert Leute behaupteten Tag für Tag, sie hätten den Gesuchten entdeckt, und Tausende junger Männer mit dunkler Gesichtsfarbe verfluchten den Tag, an dem sie sich zum Kauf eines braunen Anzugs entschlossen hatten. Der Unfall an der U-Bahn-Station geriet in Vergessenheit, weil sich kein Zusammenhang mit dem Mord in Marlow entdecken ließ.
    Handelte es sich wirklich nur um ein zufälliges Zusammentreffen? Ich war dessen nicht so sicher. Natürlich war ich etwas voreingenommen, denn ich hütete ja mein eigenes kleines Geheimnis in dieser Sache. Aber ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass doch ein Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen bestand. Hier wie dort tauchte ein Mann mit gebräuntem Gesicht auf – anscheinend ein Engländer, der aus heißeren Gegenden kam –, und in beiden Fällen gab es unaufgeklärte Fragen. Diese Unklarheiten waren es schließlich; die mich zu einem energischen Schritt veranlassten. Ich ging zu Scotland Yard und verlangte den Inspektor zu sprechen, der für den Mord in Marlow zuständig war.
    Nach etlichen Schwierigkeiten wurde ich in das Zimmer von Inspektor Meadows geführt. Dieser war ein kleiner, rothaariger Mann mit merkwürdigen Manieren. Irgendein Untergebener saß unbeachtet im Hintergrund.
    «Guten Morgen», sagte ich mit zitternder Stimme.
    «Guten Morgen. Wollen Sie bitte Platz nehmen? Ich hörte, dass Sie mir etwas mitteilen möchten, das für uns von Nutzen sein soll.»
    Sein Ton deutete an, dass er dies für sehr unwahrscheinlich hielt. Mein Blut geriet in Wallung.
    «Sie wissen natürlich Bescheid über den Mann, der an der U-Bahn-Station tödlich verunglückte? Der Mann, der eine Genehmigung zur Besichtigung des Hauses zur Mühle in der Tasche hatte.»
    «Ah!», knurrte der Inspektor. «Sie sind also diese Miss Beddingfeld, die als Zeugin bei der Totenschau auftrat. Stimmt, der Mann hatte eine solche Genehmigung in der Tasche. Aber das haben sicher auch viele andere – nur werden sie zufällig nicht getötet.»
    Ich riss mich zusammen. «Fanden Sie es nicht auffallend, dass der Mann keine Fahrkarte besaß?»
    «So ein Ding kann man leicht verlieren, ist mir selber schon passiert.»
    «Er hatte auch kein Geld bei sich.»
    «Doch. Ein paar Münzen in seiner Westentasche.»
    «Aber keine Brieftasche.»
    «Es gibt viele Menschen, die keine Brieftasche mit sich herumtragen.»
    Ich versuchte es von einer anderen Seite. «War es nicht eigenartig, dass sich der Arzt nicht meldete, der am Unfallort war?»
    «Ein stark beanspruchter Arzt kommt oftmals nicht dazu, die Zeitungen zu lesen. Wahrscheinlich hat er das Ganze längst vergessen.»
    «Sie scheinen sehr entschlossen, Inspektor», sagte ich liebenswürdig, «an der Sache nichts Auffallendes zu finden.»
    «Ich glaube, Sie nehmen das alles zu wichtig, Miss Beddingfeld. Junge Damen sind eben romantisch veranlagt, ich weiß. Sie suchen gern Geheimnisse aufzustöbern. Aber ich bin ein vielbeschäftigter Mann.»
    Der Untergebene erhob bescheiden seine Stimme. «Vielleicht würde uns die junge Dame in kurzen Worten erklären, was sie zu uns führt, Inspektor?»
    Der Inspektor stimmte dem Vorschlag bereitwillig zu. «Ja. Setzen Sie sich wieder, Miss Beddingfeld, und seien Sie nicht gekränkt. Sie haben bisher nur Fragen gestellt und verschleierte Andeutungen gemacht.
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