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Der Mann im braunen Anzug

Der Mann im braunen Anzug

Titel: Der Mann im braunen Anzug
Autoren: Agatha Christie
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erfahren, dass ich Frankreich verlassen habe. Und was glauben Sie, warum ich das tue?»
    «Sicher fahren Sie nicht zum Vergnügen nach England. Scheußlich nebliger Monat. Es wird sich also um Geschäfte handeln.»
    «Stimmt!» Sie erhob sich und stand ihm gegenüber, jede Linie ihres graziösen Körpers stolz und arrogant. «Ich habe eine Abrechnung mit unserem Herrn und Meister zu halten. Ich – eine Frau! – habe es gewagt, seine Pläne zu durchkreuzen. Erinnern Sie sich an den Fall mit den Diamanten von Kimberley?»
    «Ja, natürlich. Das geschah doch kurz vor Ausbruch des Kriegs, nicht wahr? Ich hatte damit nichts zu tun und kenne die Einzelheiten nicht. Die Sache wurde geheim gehalten, soviel ich weiß. Einen guten Fischzug hat er jedenfalls gemacht.»
    «Hunderttausend Pfund in Diamanten! Zwei von uns haben die Sache durchgeführt, natürlich genau nach den Plänen des ‹Colonel›. Und damals habe ich meine Chance wahrgenommen. Ich will Ihnen nicht die ganze Geschichte erzählen, doch eines dürfen Sie wissen: Ich habe Beweise gegen den ‹Colonel› in der Hand, gute – diamantene Beweise. Bisher habe ich keinen Gebrauch von ihnen gemacht, doch jetzt, da er uns fallen lassen will, jetzt werde ich mit ihm abrechnen. Und diese Abrechnung wird ihn sehr viel Geld kosten.»
    «Großartig», sagte der Graf. «Tragen Sie diese diamantenen Beweise stets bei sich?»
    Nadina lachte. «Halten Sie mich für eine Närrin? Die Steine sind an einem sicheren Ort, wo kein Mensch auch nur im Traum daran denken wird, sie zu suchen.»
    «Sind Sie nicht etwas zu tollkühn? Der ‹Colonel› ist nicht der Mann, der sich leicht erpressen lässt.»
    «Ich fürchte ihn nicht», antwortete sie scharf. «In meinem ganzen Leben hatte ich nur vor einem einzigen Manne Angst, und der ist tot.»
    «Hoffen wir also in Ihrem Interesse, meine Gnädigste, dass er nicht wieder lebendig wird.»
    «Was wollen Sie damit sagen?», rief die Tänzerin entsetzt.
    Der Graf schien erstaunt.
    «Ich meinte nur, dass seine Auferstehung für Sie peinlich werden könnte», erklärte er. «Ein Scherz, nichts weiter.»
    Sie seufzte erleichtert auf. «Er ist im Krieg gefallen. Ein Mann, der mich einmal geliebt hat.»
    «In Südafrika?»
    «Ja, in Südafrika.»
    «Soviel ich weiß, ist das Ihre Heimat, nicht wahr?»
    Sie nickte nur. Ihr Besucher stand auf und griff nach seinem Hut.
    «Nun, Sie werden wohl wissen, was Sie tun. Aber nach meiner Ansicht ist der ‹Colonel› gefährlicher als jeder enttäuschte Liebhaber. Er ist ein Mensch, den man sehr leicht unterschätzt.»
    Sie lachte verächtlich. «Nach all diesen Jahren dürfte ich ihn zur Genüge kennen.»
    «Wirklich? Sind Sie dessen so sicher?»
    «Oh, keine Angst. Ich spiele dieses Spiel nicht allein. Das Postschiff aus Südafrika geht morgen in Southampton vor Anker, und an Bord befindet sich ein Mann, der gewisse Befehle von mir ausgeführt hat. Der ‹Colonel› hat es nicht mit mir allein zu tun.»
    «Halten Sie das für klug?»
    «Es ist notwendig.»
    «Und sind Sie dieses Mannes so sicher?»
    Ein seltsames Lächeln umspielte den Mund der Tänzerin. «Ganz sicher! Er ist zwar nicht tüchtig, aber völlig vertrauenswürdig – für mich wenigstens. Ich bin nämlich mit ihm verheiratet.»

1
     
    Jedermann bedrängte mich, diese Geschichte aufzuschreiben, und ich muss selbst zugeben, dass ich wohl die geeignetste Person dazu bin. Von Anfang an habe ich die Geschehnisse miterlebt, war in alle Gefahren verwickelt und durfte selbst die Lösung herbeiführen. Schließlich hatte ich noch das Glück, dass Sir Eustace Pedler mir sein Tagebuch zur Verfügung stellte, so dass ich auch kleine Lücken ausfüllen kann. So sei es also – und Anne Beddingfeld beginnt die Geschichte! Ich habe mich immer nach Abenteuern gesehnt, denn mein Leben zu Hause war entsetzlich eintönig. Mein Vater, Professor Beddingfeld, galt als eine der größten Autoritäten für die Urgeschichte der Menschheit. Auf diesem Gebiet war er unübertroffen; sein Geist lebte in der Altsteinzeit, und jede Unbequemlichkeit des Daseins gipfelte für ihn darin, dass sich sein Körper mit der modernen Welt abzufinden hatte. Papa schätzte unsere Zeit gar nicht; bereits vom Neolithikum an war die Menschheit für ihn nur noch Herdenvieh.
    Leider lässt es sich nicht ganz ohne die neuzeitliche Menschheit leben. Man muss eine Art Tauschhandel treiben mit Metzgern, Bäckern und Gemüsehändlern. Und da meine Mutter starb, als ich noch ganz klein
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