Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
Worte wirklich zu erfassen.
    Moment. Der sprach doch jetzt nicht allen Ernstes von SEINER Angela?

    Der fröhlichen, hübschen, blonden Angela, die er heute früh zum Abschied geküsst hatte?
    Plötzlich spürte er ein starkes Sausen in den Ohren, das Gesicht des Arztes verschwamm vor seinen Augen, er suchte Halt an der kahlen Wand hinter sich und versuchte, nicht zusammenzusacken.
    »Da kommt ja Ihre Frau«, hörte er den Arzt sagen. In der törichten Hoffnung, sie froh und munter aus einem der Untersuchungszimmer spazieren zu sehen, atmete er tief ein und aus, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Na also. Doch eine Verwechslung. Der Arzt hat von einer ganz anderen geredet. Von einer, die bald stirbt. Erleichtert wirbelte er herum und begann schon, die Arme auszubreiten, damit sie sich wie immer lachend hineinwarf.
    Der Anblick, der sich ihm nun bot, traf ihn wie ein Fausthieb ins Gesicht.
    Angela lag, die Augen weit aufgerissen, den eingefrorenen Blick an die Decke gerichtet, reglos in einer völlig verkrampften Haltung auf einer Bahre. Speichel rann ihr aus dem geöffneten Mund, den sie wie zu einem Verzweiflungsschrei geformt hatte. Doch kein Ton kam über ihre Lippen. Die beiden Pfleger, die sie vor sich her schoben, hatten Panik im Blick und liefen im Eiltempo zum Aufzug. Das Schmatzen ihrer grünen Gummischuhe auf dem blank gescheuerten Linoleum-Fußboden betäubte ihn.
    »Notoperation«, hörte Röhrdanz eine Stimme rufen, »bitte sofort alles vorbereiten!«
    »Exitus nicht ausgeschlossen!«

    »Chef nicht im Haus!«, schrie jemand hinter verschlossenen Türen. »Ist schon zum Kongress!«
    »Geht nicht«, rief eine andere Stimme, »Krankenwagen rufen! Sie muss ins Klinikum nach Düsseldorf!«
    Röhrdanz spürte, wie sich sein Magen langsam umdrehte. Wahrscheinlich würde er ihm jeden Moment aus dem Mund fallen, mit demselben grässlichen Geräusch, das die Gummischuhe der Pfleger machten.
    Sein Mund war völlig ausgetrocknet, die Zunge schien sich nie wieder vom Gaumen lösen zu wollen.
    »Angela!« Röhrdanz taumelte auf die Bahre zu, stellte sich ihr regelrecht in den Weg. Fassungslos beugte er sich über seine Frau, die sich nicht rühren konnte. Sein Herz raste wie verrückt. Angela sah so Furcht erregend aus, als hätte sie jemand für einen Horrorfilm geschminkt. Oder ihr eine besonders grässliche Maske aufgesetzt.
    »Was machst du denn für Sachen, Liebes?«
    »Sie kann Ihnen nicht antworten«, sagte der Oberarzt. »Am besten, Sie lassen uns jetzt ungestört unsere Arbeit machen.« Er wollte mitsamt der Bahre an Röhrdanz vorbei, aber dieser ließ sie nicht passieren.
    »Angela! Hörst du mich? Erkennst du mich?«, stammelte Röhrdanz und nahm die Hand seiner Frau, die sich eiskalt anfühlte. Tränen liefen über seine Wangen.
    Sie versuchte, etwas zu sagen, aber aus ihrem verzerrten Mund kam nur ein lallendes Gurgeln.
    »Aus dem Weg!« Im Eilschritt nahten nun zwei weitere Ärzte, den Piepser am Ohr, und drängten Röhrdanz von Angela weg. »Hier geht es um Minuten, sie muss nach Düsseldorf!«

    Bevor Röhrdanz wusste, wie ihm geschah, war die Bahre mit seiner geliebten Angela bereits im Aufzug verschwunden. Fassungslos starrte er auf die sich schließenden Türen.
    Vier - drei - zwei - eins - Erdgeschoss blinkten die kleinen Lämpchen an der Wand.
    Was machten sie mit ihr?
    Warum ließen sie ihn hier stehen?
    Sie brauchte Hilfe, sie war ja völlig gelähmt, konnte nicht mal sprechen und nichts erklären! Röhrdanz war wie erschlagen von ihrem Anblick: Sie hatte ausgesehen wie ein Kind, das gerade im Begriff ist, zu ertrinken. Das den Mund öffnet, um um Hilfe zu schreien, und so nur noch mehr Wasser schluckt. Seine Lunge füllt sich unerbittlich mit Wasser, es kann nur noch mit weit aufgerissenen Augen nach oben schauen, während das Bild des helfenden Retters verschwimmt und es immer tiefer sinkt. Gleich wird es tot sein, und ich stehe hier. Warum springe ich nicht hinterher?
    »Herr Röhrdanz?«
    Röhrdanz fuhr herum. Seine Zunge schmeckte nach Blei.
    »Ich bin der Chefarzt, Professor Leyen. Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
    Aha. War er also doch nicht auf einem Kongress.
    Oder war der etwa extra wiedergekommen? Röhrdanz griff sich verlegen an den Hals.
    »Natürlich«, sagte er heiser.
    Der freundliche Ton des Arztes beruhigte Röhrdanz für einen Moment. Jetzt würde er endlich Klarheit bekommen.
Alles halb so wild, wie es aussieht, würde dieser distinguiert wirkende Mensch zu ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher