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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte
Autoren: Hera Lind
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kleinste Sorge sein, Herr Röhrdanz. So grausam das auch für Sie klingen mag: unsere allerkleinste.«

4
    Wie in Trance fuhr Röhrdanz Minuten später hinter dem Krankenwagen her, der mit Sirene und Blaulicht über die Autobahn raste. Der Chefarzt war noch in letzter Sekunde in den Krankenwagen gesprungen, als dieser auch schon mit quietschenden Reifen die Auffahrt zur Notaufnahme verließ.
    Tausend Gedanken schossen Röhrdanz durch den Kopf, aber nicht ein einziger wurde zu Ende gedacht. Das war doch alles nur ein böser Traum? Das konnte doch nicht wahr sein, dass er hier hinter seiner … sterbenden Frau herraste, mit über hundertfünfzig Sachen auf der Überholspur? Wie in Trance nahm er wahr, dass die anderen Autos alle Platz machten, sich hastig rechts einordneten, damit er, Röhrdanz, und ihm voran Angela, an ihnen vorbeisausen konnte.
    Das war doch derselbe Donnerstag, an dem er ganz normal das Haus verlassen hatte, in das er abends wieder zurückkehren würde. In seine Vierzimmerwohnung, zu seiner geliebten Frau, seinen süßen kleinen Mäusen und Oliver? Wann würde dieser grässliche Albtraum endlich vorbei sein? Er versuchte aufzuwachen, wusste aber, dass dies die nackte Wahrheit war.
    Angela.
    Da vorn.

    Röchelnd, um ihr Leben ringend.
    Von Sauerstoffgeräten und anderen Furcht einflößenden Apparaten umgeben.
    Drei Notärzte und Pfleger in wehenden Kitteln.
    Panik. Eile. Notfall. Blaulicht.
    Das Martinshorn jaulte in seinen Ohren und zerrte an seinen Nerven. Automatisch warf er einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Kurz nach vier. Oliver wunderte sich bestimmt schon, wo er blieb.
    Die Leute fuhren ungerührt von der Arbeit nach Hause!
    Er warf einen hastigen Seitenblick auf die Fahrzeugkolonne neben ihm: Hier kaute jemand ein Butterbrot, da rauchte einer, und da drüben stritt sich ein Ehepaar.
    Ja wussten die denn nicht, dass es UM LEBEN UND TOD ging?«
    Warum taten denn alle so, als wenn nichts wäre?
    Angela. Um vier Uhr ging sie sonst mit Philip und Denise auf den Spielplatz. Und auf dem Rückweg schob sie die beiden noch am Supermarkt vorbei. Um diese Zeit überlegte sie sich immer, was sie kochen sollte.
    Seine Angela.
    Anfangs hatte sie überhaupt nicht kochen können. Kein Wunder, schließlich war sie bei der Hochzeit erst einundzwanzig Jahre alt gewesen. Die ersten Schnitzel, die sie aus der Pfanne geholt hatte, waren schwarz gewesen. Völlig verkohlt und verbrannt. Angela hatte sie trotzdem auf die Teller getan und mit einem verschmitzten Schulterzucken serviert.
    Röhrdanz musste wider Willen lächeln. Für eine Sekunde
gelang es ihm, die unfassbare Gegenwart zu verdrängen, sich seinen Erinnerungen hinzugeben.
    Röhrdanz sah sich lachend fragen, ob er die Dinger essen oder unter seine Schuhsohlen nageln solle. Danach waren sie gegenüber beim Griechen essen gegangen, hatten Ouzo getrunken und gelacht. Auch dieser Abend war wie so viele mit einer wunderbaren Liebesnacht zu Ende gegangen. Sie hatten sich in den Armen gelegen und leidenschaftlich geküsst …
    Röhrdanz zwang sich, wieder in die Gegenwart zurückzukehren. Da vorne lag seine Frau, ein Häuflein Elend, sprachlos, reglos, vollkommen hilflos, und von ihrem alten Leben war nichts mehr übrig. Röhrdanz spürte, wie sich sein Magen vor lauter Angst zusammenzog. Und das hier war erst der Anfang. Vielleicht der Anfang vom Ende.
    Nein, lieber Gott, bitte nicht. Bitte alles, nur das nicht.
    Lass sie krank sein, lass sie einen Nervenzusammenbruch haben, lass sie irgendetwas haben, aber lass sie nicht sterben.
    Röhrdanz schüttelte energisch den Kopf, um diesen furchtbaren Gedanken zu verscheuchen. Nein. Seine Angela würde nicht sterben. Sie war Mutter. Sie war schwanger. Sie war seine Frau. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt.
    Ausgeschlossen.
    So etwas würde Gott niemals zulassen.
    Der Krankenwagen vor ihm setzte den Blinker und nahm die Ausfahrt.

    Röhrdanz riss das Lenkrad herum und raste hinterher.
    Das wütende Hupen der Autofahrer, denen er die Vorfahrt genommen hatte, nahm er kaum noch wahr.
    Plötzlich drängte ihn jemand, der sich wohl offensichtlich mit ihm anlegen wollte, von der Spur. Das aggressive Warnblinken des schwarzen Mercedes, der sich ihm von hinten mit hoher Geschwindigkeit näherte, ließ ihn reflexartig wieder nach links ziehen. Ehe er sich’s versah, war Röhrdanz an der Ausfahrt vorbeigeschossen.
    Der Krankenwagen mit dem Blaulicht verschwand innerhalb von Sekundenbruchteilen aus seinem
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