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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte
Autoren: Hera Lind
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gleichgültig die Schultern. »Ich hatte allerdings den Verdacht, dass sie unter Drogen steht, auf Entzug ist oder so etwas. Wie gesagt, das ist nicht mein Fachgebiet. Das überlasse ich erfahrenen Kollegen.«
    Er wich dem wütenden Blick von Röhrdanz aus, vergrub seine Hände in den Kitteltaschen und kehrte ihm den Rücken zu. Während er beiläufig aus dem Fenster schaute, sagte er über die Schulter hinweg: »Für mich lag der Verdacht nahe, dass sie eigentlich zum Kollegen Internisten wollte und sich entweder in der Tür geirrt oder es einfach nicht mehr in den zweiten Stock geschafft hat.«
    Röhrdanz spürte ein seltsames Ziehen und Stechen in der Herzgegend und wusste nicht, ob es die nackte Wut, panische Angst, kindliche Hilflosigkeit oder die pure Fassungslosigkeit war. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Weil seine Beine zitterten und sein Magen rebellierte, ließ er sich nun doch auf dem Patientenstuhl vor dem Schreibtisch des Orthopäden nieder.
    »In welches Krankenhaus …«, begann er, aber ein unkontrollierbarer Schluckreflex brach ihm die Stimme. »Ich meine, wohin …« Er räusperte sich, wurde aber den riesigen Kloß in seiner Kehle nicht los.
    »Keine Ahnung«, sagte der Arzt, wirbelte herum und griff nach dem Telefon.
    »Gabi! Wohin hat man die Frau gebracht?«
    Angespanntes Schweigen. Röhrdanz sah, wie es im
Gesicht des Arztes zuckte, so ungeduldig mahlten seine Kiefer.
    »Dann fragen Sie! Rufen Sie oben an! Aber ein bisschen plötzlich!«, bellte er in den Hörer.
    Ohne mit Röhrdanz zu sprechen, vergrub er wieder die Hände in den Kitteltaschen und starrte an die gegenüberliegende Wand. Dort hing ein Plakat, auf dem sämtliche Wirbel und Knorpel eines Rückens abgebildet waren.
    Das Telefon klingelte.
    »Ja? Was? Sankt Matthäus, aha. Leverkusen. Warum denn nicht gleich.«
    Er legte wieder auf, sah Röhrdanz triumphierend an. »Leverkusen, Sankt Matthäus. Na bitte.« Er breitete die Arme aus, als hätte er gerade Wasser in Wein verwandelt, und wartete offensichtlich auf ein überschwängliches Lob oder einen warmen Dank.
    Röhrdanz sprang auf, stürmte grußlos aus der Praxis und rannte die Treppe hinunter.
    Leverkusen also. So ungefähr wusste er, wo die Klinik war.
    Schätzungsweise die Gynäkologie. Bitte keine Fehlgeburt. Auch wenn das Dritte nicht geplant war. Aber es war doch ein Kind der Liebe wie die anderen auch.
    »Lieber Gott, bitte lass nichts mit dem Baby sein«, flehte er, als er Sekunden später in seinem Opel Kadett saß und in Richtung Autobahn brauste. »Wir sind doch so glücklich! Bitte lass es uns auch bleiben!«

3
    Die Klinik bestand aus mehreren Backsteingebäuden, umgeben von einem riesigen Parkplatz, zu dem man nur durch eine Schranke vordringen konnte. Vor lauter Aufregung schaffte er es kaum, auf den Knopf zu drücken, der die Schranke öffnete.
    Röhrdanz zog ein Parkticket, steckte es in seine Jackentasche und lief auf wackeligen Beinen durch die riesige Eingangshalle. Sofort schlug ihm der typische Krankenhausgeruch entgegen, ein Gemisch aus Schweiß, Blut, Scheuerpulver und Desinfektionsmitteln. Röhrdanz kämpfte gegen den Drang an, sich zu übergeben. Bis auf den schrecklichen Kaffee hatte er heute überhaupt noch nichts im Magen, und jetzt war ihm der Appetit endgültig vergangen. Normalerweise ging er in seiner Mittagspause in eine nahe gelegene Gaststätte und bestellte dort das Tagesgericht. Dabei las er die Zeitung und entspannte sich ein halbes Stündchen.
    Röhrdanz ließ seinen Blick hastig durch die Halle schweifen. Von Angela war nichts zu sehen.
    Überall standen und saßen Fremde herum. Einige fuhren scheinbar ziellos mit dem Rollstuhl umher, andere schoben Infusionsständer, manche hatten Verbände im Gesicht oder am Arm, und ein alter Mann humpelte ihm auf zwei Krücken entgegen.

    Ein junger Mann eilte mit wirrem Blick und einem gigantischen Blumenstrauß an ihm vorbei.
    »Gynäkologie?!«, rief er noch im Rennen. »Welche Etage?«
    »Gynäkologie«, murmelte Röhrdanz, wie in Trance. »Das wird wohl richtig sein.«
    Zusammen mit dem seligen jungen Mann drängte er sich in den Aufzug.
    »Auch Vater geworden?«, fragte der junge Mann mit glänzenden Augen. Röhrdanz war, als werfe er einen Blick in seine eigene Vergangenheit.
    »Ich hab schon vier«, murmelte Röhrdanz. »Mit dem Fünften scheint was schiefgelaufen zu sein …«
    Der junge Mann starrte ihn kurz an, dann platzte es aus ihm heraus: »Ein Mädchen! Ich habe eine Tochter!
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