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Der Mann, der sich in Luft auflöste

Der Mann, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Mann, der sich in Luft auflöste
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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aus dem von Fliegen beschmutzten Fenster über die sonnenglänzende Bucht. »Was ist denn so wichtig? Kann nicht Kollberg oder Melander ...«
    »Nein. Diese Sache musst du übernehmen. Wie es scheint, ist jemand verschwunden.«

3
    Als Martin Beck die Tür zum Büro seines Chefs öffnete, war es zehn vor eins. Er hatte exakt vierundzwanzig Stunden Urlaub gehabt.
    Kommissar Hammar war ein kräftig gebauter Mann mit Stiernacken und dichtem grauem Haar. Er saß regungslos auf seinem Drehstuhl, hatte die Unterarme auf die Tischplatte gestützt und war vollkommen beansprucht von dem, was böse Zungen als seine Lieblingsbeschäftigung bezeichneten, nämlich dem Nichtstun.
    »Da bist du ja endlich!«, sagte er mürrisch. »Du kommst auf den letzten Drücker. In einer halben Stunde musst du im Außenministerium sein.«
    »Im Außenministerium?«
    »Ganz genau. Du sollst dich mit diesem Mann treffen.« Hammar hielt eine Visitenkarte mit Daumen und Zeigefinger an einer Ecke, als wäre sie ein Salatblatt, auf dem eine Kohlraupe sitzt. Martin Beck warf einen Blick auf den Namen. Er sagte ihm nichts.
    »Ein hohes Tier«, erklärte Hammar. »Meint, dem Minister nahezustehen.«
    Er machte eine kurze Pause. Dann sagte er:
    »Hab noch nie was von dem Kerl gehört.«
    Hammar war neunundfünfzig Jahre alt und seit 1927 Polizist. Er mochte Politiker nicht.
    »Du siehst gar nicht so verärgert aus, wie ich erwartet habe«, stellte Hammar fest.
    Martin Beck hatte einen Augenblick daran zu knabbern. Er war viel zu verblüfft, um sauer zu sein. »Worum geht es eigentlich?«
    »Darüber reden wir später. Wenn du bei diesem Typen gewesen bist.«
    »Du hast was davon gesagt, dass jemand verschwunden ist.« Hammar starrte gequält aus dem Fenster, dann zuckte er mit den Schultern und sagte:
    »Das ist alles absolut idiotisch. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich ...
    Anweisung erhalten, dir keine näheren Informationen zu geben, bevor du im Außenministerium gewesen bist.«
    »Erhalten wir jetzt auch schon von dort Befehle?«
    »Es gibt bekanntlich mehrere Ministerien«, sagte Hammar geistesabwesend. Sein Blick verlor sich irgendwo im Sommergrün. Er fuhr fort:
    »Seit ich hier arbeite, hatten wir schon eine ganze Kolonne von Sozial und Innenministern. Die überwältigende Mehrheit von denen wusste über die Polizei genauso viel wie ich über die Rote Floridaschildlaus.
    Nämlich, dass es sie gibt.« Und dann sagte er unvermittelt: »Tschüs.«
    »Tschüs«, erwiderte Martin Beck.
    Als er bereits an der Tür war, kehrte Hammar ins Hier und Jetzt zurück und sagte:
    »Martin.«
    »Ja?«
    »Eines kann ich dir aber doch sagen. Du musst die Sache nicht übernehmen, wenn du nicht willst.«
    Der Mann, der dem Minister nahestand, war groß, vierschrötig und rothaarig. Er starrte Martin Beck aus wässrigen blauen Augen an, erhob sich schnell und ausladend und stürzte mit ausgestrecktem Arm um den Schreibtisch.
    »Ausgezeichnet«, sagte er. »Ausgezeichnet, dass Sie kommen konnten.«
    Sie schüttelten sich stürmisch die Hand. Martin Beck sagte nichts.
    Der Mann kehrte zu seinem Drehstuhl zurück, schnappte sich eine erloschene Pfeife und biss mit großen gelben Pferdezähnen auf das Mundstück. Dann lehnte er sich schwungvoll zurück, stopfte mit dem Daumen Tabak in den Pfeifenkopf, zündete ein Streichholz an und fixierte seinen Besucher kalt und abschätzend durch die Rauchwolken.
    »Wir duzen uns wohl am besten«, sagte er. »Ich beginne ein ernstes Gespräch immer auf diese Weise. Wenn man per Du ist, geht es gewissermaßen leichter. Ich heiße Martin.«
    »Ich auch«, sagte Martin Beck finster.
    Einen Moment später fügte er hinzu:
    »Leider. Das kompliziert die Sache womöglich.«
    Das schien den Mann zu verwirren. Er sah Martin Beck scharf an, so als schwante ihm ein übler Hinterhalt. Dann lachte er lautstark.
    »Ja, natürlich. Ja, das ist lustig. Hahaha!«
    Er verstummte abrupt, stürzte sich auf die Sprechanlage und drückte nervös auf den Knöpfen herum, während er murmelte:
    »Ja, ja, so richtig lustig.«
    In seiner Stimme lag nicht ein Fünkchen Humor.
    »Ich brauche die Akte Alf Matsson«, rief er.
    Eine Dame mittleren Alters kam mit einer Akte herein und legte sie vor ihm auf den Tisch. Er würdigte die Frau keines Blickes. Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, sah er Martin Beck aus kalten, unpersönlichen Fischaugen an und schlug dabei langsam die Akte auf. Sie enthielt ein einziges Blatt Papier, das mit krakeligen
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