Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der sich in Luft auflöste

Der Mann, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Mann, der sich in Luft auflöste
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
Vom Netzwerk:
Tür und stand bei Kollberg und Melander im Zimmer.
    Hier war es viel wärmer als in seinem Büro, vermutlich weil die Fenster geschlossen und die Gardinen zugezogen waren. Kollberg und der Verdächtige saßen sich stumm am Tisch gegenüber. Der hochgewachsene Melander stand mit verschränkten Armen am Fenster, die Pfeife im Mund. Er ließ den Verdächtigen nicht aus den Augen. Auf einem Stuhl an der Tür saß ein Gefängniswärter in Uniformhose und hellblauem Hemd.
    Er balancierte seine Mütze auf dem rechten Knie. Niemand sagte etwas, und das Einzige, was sich bewegte, war die Spule des Tonbandgeräts.
    Martin Beck stellte sich schräg hinter Kollberg und schloss sich dem allgemeinen Schweigen an. Hinter den Gardinen flog eine Wespe gegen die Fensterscheibe, wieder und wieder. Kollberg hatte sein Sakko abgelegt und den Kragen geöffnet, und trotzdem war sein Hemd zwischen den massigen Schulterblättern durchgeschwitzt. Der nasse Fleck veränderte langsam seine Form und dehnte sich in einem Streifen am Rückgrat entlang nach unten aus.
    Der Mann auf der anderen Seite des Tisches war klein und hatte eine beginnende Glatze. Er war nachlässig gekleidet, und seine Finger, die sich um die Armlehnen klammerten, waren ungepflegt, die Nägel abgekaut und mit Trauerrändern. Sein hageres Gesicht war käsig, er hatte einen weichen, fliehenden Zug um den Mund, und das Kinn zitterte ein wenig.
    Seine Augen wirkten trüb und feucht. Der Mann schluchzte auf, zwei Tränen kullerten ihm über die Wangen.
    »Aha«, sagte Kollberg finster. »Du hast ihm also so lange mit der Flasche auf den Kopf geschlagen, bis sie zerbrach.« Der Mann nickte.
    »Und als er dann am Boden lag, hast du mit dem Stuhl weiter auf ihn eingeschlagen. Wie oft?«
    »Weiß nicht. Nicht sehr oft. Aber wohl ziemlich oft.«
    »Das will ich meinen. Dann hast du den Schrank auf ihn gekippt und bist abgehauen. Und was hat der Dritte von euch währenddessen gemacht? Dieser Ragnar Larsson? Hat er nicht versucht, einzugreifen, ich meine, dich zurückzuhalten?«
    »Nein, er hat gar nichts gemacht. Er war einfach nur da.«
    »Fang nicht wieder an zu lügen!«
    »Er hat geschlafen. Er war am breitesten.«
    »Ein bisschen lauter, wenn ich bitten darf!«
    »Er hat auf dem Bett gelegen und geschlafen, hat gar nichts mitgekriegt.«
    »Aha, und nach dem Aufwachen ist er gleich zur Polizei gegangen. Okay, so weit wäre die Sache klar. Da ist nur noch eins, was ich immer noch nicht ganz verstehe: Warum ist das überhaupt alles passiert? Ihr kanntet euch doch gar nicht, bevor ihr euch in dieser Bierhalle begegnet seid.«
    »Er hat mich ein Nazischwein genannt.«
    »Jeder Polizist wird mehrmals in der Woche Nazi genannt. Zu mir haben schon Hunderte von Leuten Nazi und Gestapoknecht und Schlimmeres gesagt, aber ich habe deswegen noch nie einen erschlagen.«
    »Er hat es immer wieder gesagt: Nazischwein, Nazischwein, Nazischwein, oink, oink. Nichts anderes. Und dann hat er gesungen.«
    »Gesungen?«
    »Ja, um mich zu ärgern. Mich aufzuziehen. Wegen Hitler.«
    »Aha. Hast du ihm denn einen Anlass dazu gegeben?«
    »Ich habe nur erzählt, dass meine Mutter Deutsche war. Vorher schon.«
    »Bevor ihr zu saufen angefangen habt?«
    »Ja. Da hat er bloß gesagt, dass es keine Rolle spielt, was man für eine Mutter hat.«
    »Und als er dann in die Küche gehen wollte, da hast du die Flasche genommen und ihm von hinten eins übergebraten?«
    »Ja.«
    »Ist er hingefallen?«
    »Er ist in die Knie gegangen. Und hat angefangen zu bluten. Und dann hat er gesagt:»Du verdammte kleine Nazisau, dir werd ich's geben!«
    »Und da hast du weiter zugeschlagen?«
    »Ich hab ... Angst gekriegt. Er war größer als ich und ... Sie wissen ja gar nicht, wie das ist ... Alles dreht sich nur noch ... Ich habe rot gesehen und irgendwie nicht mehr gewusst, was ich tue.«
    Die Schultern des Mannes bebten heftig. »Das reicht«, sagte Kollberg und schaltete das Tonbandgerät ab. »Gebt ihm was zu essen und fragt den Arzt, ob er ein Schlafmittel für ihn hat.«
    Der Gefängniswärter an der Tür erhob sich, setzte seine Mütze auf und führte den Totschläger mit lockerem Griff um den Arm hinaus.
    »Wiedersehen, bis morgen«, sagte Kollberg geistesabwesend.
    Gleichzeitig schrieb er mechanisch auf das Blatt Papier vor sich: Geständnis unter Tränen. »Eine reizende Gestalt«, sagte er.
    »Schon fünfmal wegen schwerer Körperverletzung verurteilt«, ergänzte Melander. »Und jedes Mal hat er die Tat geleugnet.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher