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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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»Erzähl mir von ihrer Mutter.«
    Er schwieg einen Moment, und ich hörte, wie an der Theke eine Bestellung ausgerufen wurde.
    »Äh – der geht’s gut, ja. Gott, eigentlich ist dieses Ei echt eklig. Ich sollte mir vielleicht lieber was anderes bestellen. Meinst du, die haben hier auch Bifi …«
    »Nein, nein – warte. Ich will alles ganz genau wissen. Fangen wir mit dem Einfachsten an. Wie heißt sie?«
    »Wie sie heißt? Maddy.«
    »Maddy?«
    »Madeleine, ja.«
    »Meine Frau heißt Madeleine. Was für ein wunderschöner Name. Madeleine und Vaughan.« Ich sagte den Namen ein paarmal vor mich hin, um zu sehen, wie er sich mit meinem vertrug. »Vaughan und Maddy.« › Vaughan kennst du doch, oder? Madeleines Mann … ‹
    Diese winzige Information beruhigte mich; sie war das Fundament, auf dem ich mein neues Leben errichten würde.
    »Wo habe ich sie kennengelernt? Und jetzt sag bloß nicht, sie ist eine Katalogbraut aus Thailand.«
    »Ihr wart seit dem ersten Unisemester ein Paar. So nach dem Motto: ›Ciao, Mutti, hallo, Frauchen!‹ Verstehst du, was ich meine?«
    »Nein.«
    »Na ja, ihr wart derart ineinander verknallt, dass ihr uns damit gewaltig auf den Sack gegangen seid.«
    »Vielen Dank.«
    »Jedenfalls habt ihr nach dem Studium erst mal ein paar Jahre rumgehangen und Däumchen gedreht. Und weil du nicht die leiseste Ahnung hattest, was du machen solltest, hast du kurzerhand beschlossen, dich zum Lehrer ausbilden zu lassen.«
    »Ich bin also Lehrer. Wow! Das ist nicht nur ein Beruf! Sondern eine Berufung! Lehrer …« Ich strich mir durch den Bart und stellte mir vor, ich wäre Robin Williams in Der Club der toten Dichter oder Sidney Poitier in Junge Dornen .
    »Ja, an einer beschissenen Gesamtschule am Autobahnzubringer in Wandsworth«, sagte er. »Wenn ich mich recht erinnere, ist es eine betriebswirtschaftlich orientierte Penne, ihr produziert also keine Junkies, sondern deren Dealer …«
    »Lehrer. Das gefällt mir. Was unterrichte ich? Doch hoffentlich nicht Werken.«
    »Du unterrichtest Geschichte – und manchmal auch ›Staatsbürgerkunde‹, was immer das sein mag.«
    »Geschichtslehrer? Ha! Der Historiker ohne eigene Geschichte.«
    »Ja, Ironie des Schicksals. Du weißt rein gar nichts über die Vergangenheit, aber da es deinen Schülern ganz genau so geht, ist das nicht weiter dramatisch …«
    Wieder wurde eine Bestellung ausgerufen, und Gary beobachtete sehnsüchtig, wie ein Teller Fish and Chips über den Tresen wanderte.
    »Moment mal, wir waren noch nicht fertig mit Madeleine und den Kindern. Müssen wir ihnen denn nicht Bescheid geben, dass es mir gut geht? Schließlich war ich über eine Woche verschwunden. Haben sie sich denn gar keine Sorgen gemacht?«
    »Keine Ahnung, Alter. Ich hab noch nicht mit ihr gesprochen.«
    »Ich war eine Woche verschwunden, und sie hat dich nicht ein Mal angerufen?«
    »Nun ja, nicht ganz … Wollen wir uns eine Portion Fritten teilen?«
    »Was heißt ›nicht ganz‹? Ist Madeleine verreist oder krank oder was?«
    »Vielleicht esse ich einfach einen Beutel Ketchup, um diesen widerlichen Eiergeschmack loszuwerden. Das gibt’s wenigstens umsonst.«
    Die Frau sah Gary ungläubig an.
    »Was soll das heißen, ›nicht ganz‹? Was ist denn los?«
    »Na ja, in eurer Beziehung hat es in letzter Zeit ein bisschen gekriselt.« Er zerrte wie wild an dem Portionsbeutel, bekam ihn jedoch nicht auf. »Als die Ärztin mich am Telefon gefragt hat, ob du vor deinem Gedächtnisverlust unter besonderem Stress gestanden hättest, habe ich gesagt: ›Na klar, seine Frau und er haben sich gerade getrennt.‹«
    Da riss der Beutel plötzlich auf, und Gary bespritzte mich und das Mutter-Tochter-Paar an unserem Tisch mit Ketchup. Die beiden sprangen auf und machten ein Riesentheater, während ich die niederschmetternde Nachricht zu verdauen versuchte, dass die Frau, von deren Existenz ich eben erst erfahren hatte, mich nur Sekunden später hatte sitzen lassen. Es musste die kürzeste Ehe aller Zeiten gewesen sein.
    »Ach, das tut mir aber leid«, sagte Gary zu der Frau. Es klang nicht besonders echt. »Hier – nehmen Sie eine Serviette. Sie können sich das gute Ketchup natürlich auch vom Blüschen lecken …«
    »Wäre das nicht eher Ihre Aufgabe?«
    »Ich lecke Ihnen mit Sicherheit kein Ketchup von der Bluse, Gnädigste – das geht denn doch ein Stück zu weit. Vaughan, Alter – du hast da was am Hemd …«
    »Gary«, sagte ich leise, »ich glaube, ich möchte zurück
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