Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
Autoren: Simon X. Rost
Vom Netzwerk:
zu Boden. Er rührte sich nicht.
    »Das war alles, Dale? War das echt alles, was du zu bieten hast? Du bist wirklich wie ein Mädchen, weißt du, du –«
    »Schnauze, du Bastard! Und nimm die Hände hoch!« Es klickte. Jeb hatte den Hahn des Allen-Pepperbox-Revolvers gespannt und richtete den Lauf nun auf Tom.
    Tom schluckte, dann lächelte er schief und nahm die Hände hoch. »Jeb? Jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt, das war doch ein Witz, das mit dir und Dale und –«
    »Halt’s Maul, sag ich!« Jebs Stimme wurde gefährlich leise.
    Plötzlich klickte es erneut. Diesmal hatte der Potawatomi angelegt und den Hahn gespannt. Er zielte mit einer Deane & Adams, Kaliber 36 , einem Double-Action-Revolver mit fünf Schuss, auf Jeb. »Mann gegen Mann, Faust gegen Faust«, murmelte er.
    Tom ließ die Hände wieder sinken. »Tja, Jeb, ich schätze, das ändert einiges.«
    »Das ändert gar nichts! Lass die Hände oben!« Jeb fuchtelte mit dem Revolver zwischen Tom und dem Potawatomi hin und her. »Das hier geht dich nichts an, Rothaut! Misch dich nicht ein, und verpiss dich!«
    »Ihr verpisst euch alle! Und zwar sofort!«
    Harold hob eine Winchester Yellowboy über den Tresen und richtete sie auf den Potawatomi. Timothy kam aus der Küche gerannt und trat neben seinen Vater. Seine Kochschürze war blutverschmiert. Er hielt einen Le-Mat-Revolver in der Hand. Cooper stand heftig atmend neben Tom, er schien sich unschlüssig zu sein, ob auch er die Hände hochnehmen sollte. Einen Augenblick lang herrschte atemlose Stille.
    Tom rührte sich als Erster. Er hob die Handflächen beschwichtigend zur Decke. »Gut. Schön. Jetzt stehen wir hier also rum. Mal ernsthaft: Können wir nicht alle so tun, als wär nichts passiert? Das hier …«, Tom wedelte unbestimmt mit der Hand zu den Waffen, »… das hier bringt uns jetzt echt nicht weiter!«
    Schweigen im Saloon, niemand rührte sich.
    Tom trat einen Schritt auf Jeb zu. »Also gut: Ich komm für den verschütteten Whiskey auf, und Dale hier …« Er wandte sich um und wollte auf den am Boden liegenden Dale zeigen. Aber Dale lag nicht mehr am Boden, sondern war inzwischen schwankend auf die Füße gekommen. Sein Bart war nass vom Whiskey, Scherben glitzerten darin. Blut lief ihm von einer Platzwunde an der Stirn, und es sah fast so aus, als schielte er.
    Tom schluckte. Dale war einen Kopf größer und gut fünfzig Pfund schwerer als er. Und Dale war wütend. Tom sah Dales Faust kommen, aber er war nicht schnell genug. Der Kinnhaken traf ihn hart und schleuderte ihn quer durch den Saloon. Er landete auf einem Tisch, der glatt unter ihm entzweibrach. Tom war nah an einer Ohnmacht, doch Dale packte ihn, zog ihn hoch und warf ihn durch die Schwingtüren des Saloons auf die staubige Bird Street. Tom schlug mit dem Rücken auf, und ihm schwanden die Sinne.
    Als er wieder zu sich kam, fühlte sich sein Kehlkopf an, als wäre er in eine stählerne Schraubzwinge geraten, und er spürte, wie ihm die Augen aus den Höhlen traten. Dale hatte die fleischigen Pranken um Toms Hals gelegt und würgte ihn. Tom bekam keine Luft. Wenn er nicht bald etwas tat, würde dieses sadistische Schwein ihn umbringen.
    Tu was! Tu endlich was!
    Er versuchte, mit der Hand nach dem kleinen Atkinson-Messer in seinem Stiefel zu greifen, aber er kam nicht heran. Er musste die Hände hochnehmen, um Dales Griff um seinen Hals abzuwehren.
    Tom spürte, wie die Schwärze langsam in ihn hineinkroch. Dales Griff um seinen Hals war eisern, Tom keuchte, rang nach Luft, er schloss die Augen, weil er das Ende kommen fühlte. Doch dann erlahmte Dales Griff mit einem Mal.
    Tom schlug die Augen wieder auf und sog gierig die Luft ein. Dale hatte die Hände von seinem Hals gelöst. Der Hüne blinzelte, sah sich erstaunt um.
    Hinter ihm stand Hiram Cooper und zog eine Spritze aus dessen Hintern. Er klopfte gegen das Glas der Spritze, nahm die Nadel ab, verstaute sie in einem kleinen Futteral und legte das Futteral in die Reisetasche neben sich zurück. »Sie werden nur ein wenig schlafen und morgen vielleicht etwas Kopfweh haben, Sir«, sagte er zu Dale. Dann schloss er die Tasche, klemmte sie unter den Arm und lief eiligen Schrittes die Bird Street hinab.
    Dale blinzelte immer noch, als würde er nicht wissen, wie ihm geschehen war. In der Saloon-Tür stand Jeb und starrte ungläubig auf seinen Kumpel. Dale wollte sich aufrichten, doch seine Beine gaben nach, er sackte zusammen, als hätte man ihm das Rückgrat entfernt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher