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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
Autoren: Simon X. Rost
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am Karfreitag nicht in ein Theater gehen, das bringt Unglück. Und man sollte nie zu einer Hochzeit fahren, wenn man nicht weiß, wer die Braut ist. Und mit einem leeren Sack sollte man am besten auch nicht dort auftauchen, wo gerade jemand umgebracht wurde.«
    Harold blinzelte, hielt für einen Moment mit dem Putzen der Gläser inne und brummte endlich wie zustimmend, bevor er mit der speckigen Schürze über das Ende des Tresens wischte, das weit von Tom entfernt war.
    Tom seufzte und blickte sich um. Die Lampen mit den grünen Glasschirmen in »Harold’s Happy Tavern« an der Ecke Bird Street und Main waren schon angezündet, obwohl es draußen noch gleißend hell war. Doch sie brachten nur wenig Licht in die düstere Schankstube, die von einem dunkelroten Tresen und einem ausladenden Lüster in der Mitte des Raumes beherrscht wurde. Hinter der Bar hing ein stumpfer Spiegel, davor standen sorgsam aufgereiht Flaschen und Gläser. Zahlreiche Ölgemälde mit Jagdszenen, die der Rauch aus dem Kamin und die Essensdünste mit einem schmierigen dunklen Firnis überzogen hatten, zierten die Wände. Obwohl es den Saloon schon viele Jahre gab, kannte Tom den neuen Besitzer nicht. Der vorige Inhaber, Mr Walker, hatte ihm und Huck öfter das Fell gegerbt, wenn sie wieder einmal versucht hatten, ein Loch in das Limonadenfass im Hinterhof zu bohren, um sich dann abwechselnd unter den munter plätschernden Strahl zu legen.
    Tom sah sich um. Er war fast allein im Schankraum. Harold wischte immer noch den Tresen, Timothy klopfte in der Küche irgendwelche Fleischstücke, vermutlich in der Hoffnung, sie würden dadurch weniger zäh. Ein schwarzer Junge von vielleicht zehn Jahren fegte die vor Schmutz starrenden Dielen, und in einer Ecke hockten zwei Männer in der verschlissenen Uniform der Konföderierten. Die rissigen grauen Uniformhosen hingen über die berüchtigten Schlammtreter herab – klobige Stiefel von schlechter Qualität, mit denen die Kontrakthändler der Armeen ein Vermögen verdient hatten.
    Ein Potawatomi-Indianer, der eine blaue Kerseyhose und die Abzeichen eines Scouts trug, döste neben der Tür. Er hob träge die Lider, als die Glocke an der Saloontür anschlug und ein gut gekleideter Schwarzer mit einer kleinen ledernen Gladstone-Reisetasche eintrat. Zu einem Anzug aus braun karierter Wolle trug er eine ebenso karierte Mütze, eine flaschengrüne Weste und ein weißes Hemd, um dessen Kragen ein schwarzes Schnürband gebunden war.
    Der junge Schwarze achtete nicht auf die feindseligen Blicke der beiden Veteranen in der Ecke, sondern ging forschen Schrittes zu Harold an den Tresen. Er stellte seine Tasche ab und tippte sich an die karierte Mütze. »Sir. Mein Name ist Hiram B. Cooper, und man hat mir diesen Saloon empfohlen. Haben Sie noch ein Zimmer frei?«
    Harold blickte von seinen Gläsern auf und dann zur Seite, als wolle er sichergehen, dass der junge Schwarze tatsächlich mit ihm gesprochen hatte. »Ein Zimmer wollen Sie?«, echote Harold dann und schielte unbehaglich zu den Veteranen in der Ecke.
    »Ja, Sir. Haben Sie eines frei, das ich mieten könnte?«
    »Du wirst dem Nigger wohl doch kein Zimmer vermieten, Harold? Ich dachte immer, das hier wär ein anständiges Lokal.« Einer der beiden Veteranen, ein dünnes kleines Frettchen mit einem fransigen Schurbart, reckte das Kinn und spähte aus trüben gelblichen Augen über seinen Bierkrug zum Tresen. Ein . 45 Allen-Pepperbox-Revolver lag vor ihm auf dem Tisch.
    Harold stützte beide Hände auf den Tresen. »Halt die Klappe, Jeb! Wenn das ein anständiges Lokal wär, wärst du wohl kaum hier! Und ich krieg noch drei Dollar und zwanzig Cent von dir, Freundchen!«
    Jeb äffte Harold gehässig nach, aber dann verstummte er.
    Tom blickte über den Spiegel hinter der Bar zu Jebs Begleiter. Der Mann war groß und sicher zweihundert Pfund schwer, überragte Jeb bestimmt um mehr als einen Kopf. Er trug einen rötlich schimmernden Vollbart, der ihm bis zur Brust ging, und sein Kopf war rasiert und nur von kurzen Stoppeln bedeckt. Seine rote Schildmütze lag auf dem Tisch. Gekreuzte Kanonen auf dem Stoff verrieten Tom, dass der Mann bei der Artillerie der Südstaaten gedient hatte. Der Hüne wirkte ganz ruhig. Er starrte geradeaus, als hätte er den Schwarzen gar nicht bemerkt. Doch Tom sah, wie seine Nasenflügel bei jedem Atemzug bebten. Die Faust des Riesen umklammerte den Henkel seines Bierkrugs. Die Knöchel der Hand wurden weiß.
    »Tut mir leid, Mr
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