Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Kleiderschrank. Sein kantiger Schädel wurde durch eine Glatze noch besonders betont. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Gesicht…

    »Plaudern wir miteinander. Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Gomlek mit gespielter Freundlichkeit. Er schob den Küchentisch zum Herd hinüber und stellte zwei Stühle mitten in den Raum. Seine beiden Helfer zwangen Robert und Hanna, sich hinzusetzen, womit sie für Tim ebenfalls sichtbar wurden, wenn auch nur von hinten.
    »Damit Sie in der Aufregung keine Dummheiten anstellen, werden wir Ihnen jetzt ein Mittel injizieren«, erklärte Gomlek im Ton eines Arztes, der über eine harmlose Schutzimpfung spricht.
    Tims Mutter fing leise an zu weinen.
    »Was ist das? Eine Wahrheitsdroge?«
    »Viel besser. Schön stillhalten, damit ich nicht hiervon Gebrauch machen muss.« Gomlek wackelte bedeutungsvoll mit der Waffe.
    Einer seiner Begleiter zog eine Spritze auf. Der Kerl hatte dichtes, glattes, schwarzes Haar, einen vollen Schnurrbart, aber nur eine Augenbraue. Im Vergleich zu seinem Boss war er jünger, kleiner, grobschlächtiger und irgendwie…
    orientalischer. Sanftheit gehörte offenbar nicht zu seinen Stärken – er stach Hanna die Nadel einfach durch den Rock in den Oberschenkel. Sie japste vor Schmerz.
    »Muss das wirklich sein?«, protestierte Robert.
    Der dritte Agent schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht.
    Hanna schrie.
    Der Mann versetzte auch ihr eine Ohrfeige.
    Tim hätte am liebsten ebenfalls losgebrüllt, doch ihm schwante, dass er damit sich und seinen Eltern nur schaden würde. Stattdessen biss er in den Ärmel seines Pyjamas, um gegen die aufkommende Panik anzukämpfen. Sein Herz schlug ihm bis zum Halse, als seine Mutter zu weinen begann. Ihm war schwindelig. Warum hatte ihn seine Epilepsie nicht längst außer Gefecht gesetzt? Hilflos musste er mit ansehen, wie der Schnurrbärtige eine zweite Ampulle köpfte, dieselbe Spritze abermals aufzog und sie dem Vater ins Bein jagte.
    Gomlek befahl seinen Männern, die Wohnung nach dem Jungen zu durchkämmen. Derweil sackte Robert zur Seite. Tim sah seinen Vater schon betäubt vom Stuhl fallen, aber unvermittelt hielt der KGB-Mann ihn fest und rückte ihn wieder gerade. »Vermutlich wundern Sie sich, warum Ihre Arme und Beine Ihnen nicht mehr gehorchen. Das ist aber ganz normal«, erklärte er gut gelaunt, während es in einem Nachbarzimmer polterte. »Mein Kamerad hat Ihnen einen Cocktail verabreicht, der Ihre Muskulatur erschlaffen lässt.
    Keine Sorge, wir haben die Zusammensetzung und Dosierung so gewählt, dass Sie weiter atmen und sprechen können.
    Die Schwäche wirkt nur auf die Extremitäten. So ersparen wir uns die Handschellen oder Stricke, und Sie können mir ganz entspannt zuhören und meine Fragen beantworten. Sie arbeiten doch beide im Referat 7 der Hauptverwaltung Aufklärung, nicht wahr?«
    »Was soll die Frage? Das wissen Sie doch ganz genau«, knirschte Robert.
    Gomlek verzog den Mund zu etwas, das einem Lächeln ähnelte. »Ganz richtig. Ich will es Ihnen nur leichter machen, Herr Labin. Wir können die Angelegenheit auch gerne abkürzen: Wonach haben Sie und Ihre Frau im Archiv gesucht?«
    »Wir? Gesucht? Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
    Der Agent schlenderte zu den Küchenschränken neben dem Herd, ließ seine Fingerspitzen über zwei der dort liegenden Messer gleiten und entschied sich für das größere. Damit kehrte er zurück und stach Hanna die Klinge tief in den Oberschenkel.

    Ihr Schmerzensschrei ließ Tim von der Tür zurückschrecken.
    Mit weit aufgerissenen Augen saß er auf dem Boden der Speisekammer und presste sich den Arm gegen den Mund, weil er nicht mehr länger an sich halten konnte. In einem erstickten Laut brachen Furcht und Entsetzen aus ihm hervor.
    Wenn sie dich hören, bringen sie dich um! Der Gedanke vermischte sich in seinem Kopf mit der Sorge um die Eltern zu einem betäubenden Gift, das ihm schier das Bewusstsein raubte.
    Nach einer Weile kroch er trotzdem zum Spalt zurück. Hanna wimmerte nur noch, und der KGB-Mann fuhr mit seinem Verhör fort.
    »… müssen mir bitte glauben, Herr Labin, dass ich keine Freude bei dem empfinde, wozu Sie mich zwingen«, säuselte Gomlek gerade, als bedauere er den brutalen Vorfall. »Aber ich kenne mich mit der menschlichen Anatomie leidlich aus.
    Das Messer hat keine Schlagader verletzt. Ihre Frau muss also nicht verbluten – wenn Sie Ihre Bedenkzeit kurz halten.«
    »Wir sind keine Spione«, beteuerte Robert. Seine Stimme klang
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher