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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte
Autoren: Ralf Isau
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es einfach untertunneln oder besser noch: Er sei schon Teil des Systems und könne so von innen heraus sein Unwesen treiben. »Ich bin überzeugt, einige von Ihnen haben das Zeug, mit diesem Instrumentarium und einigen Hackertricks sogar den Riesen USA ins Wanken zu bringen.«
    Einmal mehr hatte es Kogan geschafft, die Studenten zu überraschen. Plötzlich waren sie nicht mehr nur Zuhörer, sondern potenzielle Akteure. Er hat sie bei ihrem Ehrgeiz gepackt, dachte JJ. Das kann er wirklich gut. Im Saal wurde getuschelt. Einige nickten zustimmend.
    »Wir reden hier nicht über Peanuts«, machte Kogan klar, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war. »Die Angriffsziele für Cyberterroristen sind vielfältig, und der Schaden, den sie anrichten können, ist immens. Wenn Bankautomaten kein Bargeld mehr ausspucken oder Kreditkarten vorzeitig ihre Gültigkeit verlieren, klingt das vielleicht harmlos. Aber was, wenn die auf automatischen Effektenhandel getrimmten Computer der Brokerfirmen plötzlich – scheinbar ganz von allein – riesige Wertpapierpakete verkaufen und dadurch die Börse kollabiert? Was, wenn über Nacht der zivile Flugverkehr zusammenbricht? Oder wenn Züge zusammenstoßen, weil Eisenbahnweichen fremden Befehlen folgen? Auch die Fahndungscomputer der Polizei und Geheimdienste sind keineswegs unverwundbar. Wenn sie streiken, können die Angreifer unerkannt ihr Unwesen treiben…«
    »Ist das ein Test?«, rief eine Studentin aus der zweiten Reihe, die so tief in ihrem Sessel hing, als wolle sie jeden Moment einen Abgang machen. »Spielen Sie uns jetzt auch den Automaten vor, in dem eine Disc der NSA abläuft? Am Ende bekommen wir dann alle einen Bewerbungsbogen Ihrer Behörde in die Hand gedrückt, stimmt’s? Was Sie da erzählen, ist doch reine Panikmache.«
    Kogan ließ sich nicht provozieren. Er lobte sogar die Zwischenruferin. »Guter Einwurf. Aber woher nehmen Sie die Gewissheit, dass nicht Sie gerade auf einen Automaten hereinfallen, der unserem System längst Schach geboten hat? Müssen wir erst matt sein, ehe wir uns der Herausforderung bewusst werden?« Die Studentin schwieg.

    Vielleicht, fuhr Kogan daraufhin geduldig fort, sollte man den ewigen Beschwichtigern unter den Experten – von denen bedauerlicherweise einige auch zu den Beratern des Präsidenten gehörten – an Hand eines »kontrollierten Angriffes« beweisen, wie verwundbar die moderne Informationsgesellschaft sei. Man habe lange genug die Placebos der Politiker geschluckt, die mit immer weiteren Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermitteln. Wenn man die Ignoranten in Washington nicht wachrüttele, werde ein terroristischer Angriff aus dem World Wide Web die westliche Welt kalt erwischen. Der Krieg im Cyberspace werde früher ausbrechen, als die meisten glaubten. Für diesen Tag müsse man gerüstet sein.

    Der Vortrag hatte nicht wenige Studenten überfordert. Auch das gehörte zum Plan. Es war ein erster Test. JJ wusste, dass Kogan kein Interesse an Leuten hatte, die sich bei der NSA ein bequemes Leben machen wollten. Er meinte, nach einer solchen Sondierungsveranstaltung würden die meisten zunächst die Flucht ergreifen. »Was wir ihnen sagen, ist wie eine Bakterienkultur in ihren Köpfen. Die eingeimpften Gedanken müssen sich erst entwickeln. Ihre erste Reaktion wird dich wahrscheinlich enttäuschen.«
    Enttäuschen war gar kein Ausdruck. Die Ausbeute des Tages betrug gerade zwei Personen, und eine von ihnen war JJs Freund Karim. In seinem Kielwasser näherte sich dem Rednerpult ein Bursche, der für sie auch kein Unbekannter mehr war: Justin Flock, ein zweiundzwanzigjähriger, ungemein cooler Typ, der sich für einen Update von Colin Farrell hielt. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hollywood-Mimen war Justin allerdings nicht abzusprechen. Der ein Meter siebzig kurze, sehnige Hacker hatte halblanges, dunkles Haar, einen Dreitagebart, stechende braune Augen, ungesunde Ernährungsgewohnheiten und einen Hang zu unkonventioneller Kleidung. Seine Jeans sahen aus, als habe er sie den Fängen eines Reißwolfs entrissen, und auf seinem fleckigen, knallroten T-Shirt stand in schwarzen Lettern: WWW World Wisest Wag. Der »Welt weisester Witzbold«
    war unbestreitbar ein Genie, wenn es um das Austricksen von Computernetzwerken ging, aber damit waren seine Qualitäten auch schon erschöpft. Charakterlich hielt ihn JJ für eine Niete.
    Jamila begrüßte ihren Freund mit einem Kuss. »Tolle
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