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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Autoren: Manfred Köhler
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ans Tageslicht kommen und wie die Ermittlungen sich entwickeln würden. Er bot mir an, im Gästehaus meines früheren Anwesens einzuziehen, genauer gesagt, mich dort zu verstecken, und mich über Silke mit allem zu versorgen, was ich brauchte. Streng genommen lebe ich dort seitdem wie in einem Gefängnis, aber ich fühle mich so frei wie in meinem ganzen Leben nicht, denn ich habe eine Leidenschaft und Aufgabe gefunden, die mich in Einklang mit mir selbst hält, und das verdanke ich Jürgen Rogalla.
    Er hatte noch gelebt, als ich oben auf der Plattform wieder ein igermaßen zu Kräften gekommen war. Er starrte, halb aus der Öffnung des Silos gelehnt, zu mir herüber. Ich stieg den Mast hinab und ließ mich auf dem blutverschmierten Förderband zu ihm hoch tragen. Die Überreste von Honkes waren neben ihm angekommen und hatten sich zu einem schreckenerregenden Haufen angesammelt.
    Ich zog den sterbenden Kameraden zur Seite und bedeckte die Leiche nteile so gut es ging mit Schotter. Dann kniete ich mich hin, nahm Rogallas Kopf in meinen Schoß und wartete mit ihm zusammen auf seinen letzten Atemzug, denn dass es zwecklos war, Hilfe zu holen, wussten wir beide.
    Er hielt sich noch eine Stunde, aber war nicht mehr in der Lage zu sprechen. Er hatte Augen und Mund halb geöffn eten. Ich spürte keinen Atem und keinen Pulsschlag, aber ich wusste, dass er noch da war, ohne sagen zu können, wodurch ich mir so sicher war, so wenig ich danach irgendwie hätte feststellen können, dass er gegangen war, aber ich empfand den Moment des Übergangs mit diesem verborgenen Sinn, dessen ich mir erst jetzt wieder gewahr wurde. Ich empfand den Moment wie eine feste Berührung, die nicht zu orten war und eigentlich in meinem ganzen Körper zugleich stattfand, sogar in meiner rechten Hand. Diese Berührung hatte nichts mit Schmerz und Trauer zu tun, im Gegenteil, und diese Erfahrung war es auch, was mich später Melanies Tod leichter ertragen ließ, obwohl ich bei ihr nicht dabei sein durfte.
    Ihr Verlust wirkte, nachdem Rogallas Tod mein altes Wesen mürbe gemacht hatte, wie ein Dam mbruch tief in mir, und seitdem kann ich nicht aufhören, alles in mich aufzusaugen, was in wissenschaftlicher, religiöser und philosophischer Annäherung die Themen Heilsein und Kranksein, Leben und Sterben berührt. Silke versorgt mich mit immer wieder neuen Büchern. Ich habe angefangen, mir rund um das Gästehaus Heilpflanzenbeete anzulegen, und mein Ziel ist es, irgendwann eine Ausbildung zum Naturheilpraktiker anzufangen. Dieses Irgendwann ist jetzt nicht mehr so unwahrscheinlich, wie es mir in den ersten Monaten nach meiner Rückkehr auf mein früheres Anwesen schien. Denn eine Art Schlussstrich kann ich als gezogen betrachten. Auch davon muss ich noch erzählen.
    Es war im Frü hherbst jenes Jahres, die Sonne schien noch einmal so heiß vom blassblauen Himmel, dass ich im T-Shirt an meinen Beeten ackern konnte, obwohl das Laub ringsum schon gelb und rot verfärbt und zur Hälfte von den Bäumen gefegt worden war. Es kamen zwei Männer vom Haupthaus den Hang herunter zum Gästehaus. Der eine war ein großer, schlanker, uniformierter Polizist, der andere war klein und stämmig, trug Bundeswehrhosen mit Bügelfalte und ordentlich gescheitelte aschblonde Haare, die mir ein wenig lichter vorkamen als bei unserer ersten Begegnung. Als er mich erkannte, schickte er den uniformierten Polizisten mit einer Handbewegung zurück zum Haupthaus.
    „Sind Sie der Gärtner?“
    Ich war durcheinander in diesem Moment und unfähig zu einer Erwiderung. Deshalb kam er näher und setzte nach:
    „Herr Dr. Bacher sagte, sie seien seit einiger Zeit bei ihm als Gärtner beschäftigt und könnten vielleicht etwas zu unserer U ntersuchung über das Verschwinden des früheren Besitzers beitragen. Frank Fercher, sagt Ihnen der Name was?“
    Ich steckte meinen Handspaten in die Erde, stand auf, wischte mir Hand und Stumpf an der Hose ab und zuckte mit den Schu ltern. Schuldgefühle waren auf einmal wieder da, und es erleichterte mich, dass das Versteckspiel nun zu Ende ging. Er hatte mich erkannt, daran gab es keinen Zweifel. Aber es war mir unmöglich, gerade heraus zu erzählen, daher fragte ich:
    „Was wollen Sie denn wissen?“
    „Dieser Frank Fercher, nach dem wir suchen, ist schon seit geraumer Zeit wegen Fälschung von Ausweispapieren flüchtig. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist er im Juli in Berlin mit einem gewissen Jürgen Rogalla in einem Campmobil mit
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